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„Wir denken nur bis zur Mülltonne“

Unternehmerportrait Tahsin Dag

Der Termin hat Schlagzeilen gemacht: Mitte Juni eröffnete das Verpackungsunternehmen Papacks am Ostrand von Arnstadt seine bereits zweite Gigafactory. 30 Millionen Euro hat Papacks in Thüringen investiert. Dabei soll es aber nicht bleiben. Geht es nach Firmengründer und -chef Tahsin Dag soll hier innerhalb kurzer Zeit ein Campus für Faserwirtschaft entstehen. Wer ist er Mann, der mit diesen Ideen nach Thüringen gekommen ist? WIRTSCHAFTSSPIEGEL-Chefredakteur Torsten Laudien hat ihn getroffen und einen Menschen mit einer bemerkenswerten Biografie und klaren Visionen kennengelernt.

Für die offiziellen Fotos dann doch lieber im Anzug: Papacks-Gründer und -Chef Tahsin Dag. | Foto: Papacks

Wer Papacks in Arnstadt besuchen will, sollte sich nicht unbedingt auf sein Navi verlassen. Selbst moderne Systeme kennen die Adresse „An den Pappeln“ nicht. Aber man kann es leicht finden. Vor Ort gibt es wenigstens einen Wegweiser. Erster Eindruck von außen: Industriegebäude wie andere auch, nur dass das Wort Gigafactory an der Fassade prangt. Hm, denkt man sich und erinnert sich an einen amerikanischen Milliardär, der eine ebensolche aus dem märkischen Sand gestampft hat. Aber die Frage heben wir uns für den Schluss auf.

Auftritt Tahsin Dag. Ein kleiner drahtiger Mann im weißen Arbeitskittel, ebenso weißem Hemd und weißen Sneakern. Und offensichtlich ein Mensch, der sein jeweiliges Gegenüber mit offenem Wesen empfängt. Jemand, der etwas zu erzählen hat, eine Botschaft ‘rüberbringen will – seine Botschaft von Nachhaltigkeit.

Tahsin Dags Hintergrund und Werdegang

Man muss ihn etwas einbremsen, wenn man etwas über den Menschen Tahsin Dag erfahren will. Aber dann tut er es doch, und zwar mit der ihm eigenen Offenheit. Geboren wurde er vor knapp 40 Jahren als Kind jesidischer Kurden. Auch ohne es zu googeln, wird klar, dass es bessere Voraussetzungen für einen Start ins Leben gibt. Sein Geburtsort liegt in Ostanatolien und heißt Viransehir. Das scheint ihm so wichtig zu sein, dass man den Namen von seinem Personalausweis abschreiben soll. Seine Eltern sind Bauern. Im Alter von vier Jahren nehmen sie den kleinen Tahsin mit auf die Flucht nach Deutschland. Eine abenteuerliche Odyssee, die zwei Jahre dauert. Schließlich kommt die Familie in Niedersachsen an, wo sie ein Jahr in einem Asylbewerberheim lebt. Dann kommt die Familie in einer Wohnung in Sulingen unter. Die Kleinstadt bei Diepholz verfügt über ein Gymnasium. Tahsin Dag ist Mitte der 1990er Jahre der erste Ausländer, der dort aufgenommen wird.

Er ist ehrgeizig, will seine Chancen nutzen und etwas aus seinem Leben machen. Zum Arbeiten ist er sich nie zu schade. Schon mit zwölf Jahren verdient er sich etwas dazu, indem er Teller abwäscht. Später wäscht er Autos. Warum auch immer, kurz vor dem Abitur bricht Tahsin Dag die Schule ab. Es zieht ihn in die große weite Welt.

Die Rheinmetropole Köln wird sein neues Zuhause und bleibt es bis heute. Dort landet er in der Gastronomie. Kurze Zeit später leitet er bereits eine kleine Bar. Hier kommt er notwendigerweise in Kontakt mit der Getränkeindustrie. In seinem Falle ist es ein Konzern, der in unseren Breiten durch einen recht erfolgreichen Fußballverein bekannt ist.

Umdenken bezüglich Plastikmüll

Hier beginnt das, was man heute gern als Mindset-Change bezeichnet – Tahsin Dag beginnt zu hinterfragen, was sich da um ihn tut. Er ist in dieser Zeit im Außendienst tätig und betreut Groß-Events. Seine „rote Brause“ gibt es nur in Dosen, die auf Paletten stehen und von Unmengen von PET-Folie zusammengehalten werden. Bei 5,5 Milliarden Büchsen pro Jahr kann man nur schätzen, welche Menge Plastikmüll da anfällt – es ist jedenfalls unfassbar viel.

Muss das sein? Es gibt doch andere Lösungen – die bekannteste ist der Eierkarton. Tahsin Dag stürzt sich in dieses Thema. „Mit Fantasie und Weitblick“, wie er heute sagt. Und dann lässt er sich im Gespräch doch nicht mehr bremsen. „Wir machen uns viel zu wenig Gedanken“, sagt er und geht noch einen Schritt weiter: „Wir denken nur bis zur Mülltonne.“ Wir dürften den Bezug zu Umwelt und Natur nicht verlieren, in der Verpackungsindustrie sei das schon geschehen.

Gründung und Entwicklung vom Verpackungsunternehmen Papacks

Die weiteren unternehmerischen Schritte seien hier nur angerissen. Wenn wir vorhin schon den Tellerwäscher erwähnt haben, soll das nächste Klischee nicht ausbleiben: Tahsin Dag startete sein Unternehmen in einer Garage. Die weitere Entwicklung verlief auch nicht ohne Friktionen. Dag erzählt von einem japanischen Großkonzern, der ihn als möglicher Investor über den Tisch ziehen wollte und anderen Dingen mehr.

Heute kann Tahsin Dag auf eine erfolgreiche Entwicklung seiner Ideen verweisen, PET und Glas durch pflanzliche Fasern als Verpackungsmaterialien abzulösen. Rund 70 Patente hält sein Unternehmen weltweit. Mit seinen Lösungen lassen sich nicht nur die Trays für Getränke herstellen, sondern zum Beispiel auch Tiegel für Cremes. Ein internationaler Produzent von Reinigungsmitteln verwendet mittlerweile Flaschen aus Hanf. Nutzhanf, den er bereits auf rund 2.000 Hektar Fläche in der Ukraine anbauen lässt.

Beweggründe für ein nachhaltiges Verpackungsunternehmen

Irgendwann stellt sich die Frage, ob sein Werdegang auch etwas mit seiner persönlichen Biografie zu tun hat. „Ja“, sagt Tahsin Dag und wird für einen kurzen Moment nachdenklich. Dann erzählt er die Geschichte von seinem verstorbenen Vater, den er zur Beisetzung in das ostanatolische Heimatdorf Viransehir überführt hat. Hier hat er wieder erlebt, mit welch einfachen Mitteln die Menschen dort auskommen. Wie man zum Beispiel Pferdeäpfel nutzbringend verwenden kann. Und wie er von seinem Letzten Geld am Flughafen Istanbul eine Tasche kaufte. Aufschrift: I love my planet.

Und was heißt das jetzt alles? Ist Tahsin Dag das, was man hierzulande süffisant als Gutmensch bezeichnet? Da wird er technisch und grundsätzlich. „Wir müssen die Kreislaufwirtschaft neu denken“, sagt er. Wir müssten uns von herkömmlichen Systemen lösen. Und er sagt auch: „Ich bin Kapitalist. Ohne Profit gibt es kein Geld für die Umsetzung von Nachhaltigkeit.“ Und dann schiebt er noch einen Satz nach, den man öfter hört: „Die Menschen, die sich heute im Namen des Klimaschutzes auf Straßen festkleben, sollten ihre Zeit besser damit verbringen, nach nachhaltigen Problemlösungen zu suchen.“ Da gebe es genug zu tun.

Bleibt am Ende noch die Frage nach dem Begriff Gigafactory. Er habe die Bezeichnung für sein Arnstädter Projekt lange vorher festgelegt, bevor Elon Musk seine Pläne öffentlich gemacht habe. Tahsin Dag ist so offen und überzeugend, dass man ihm das glauben mag. Kann ja sein, dass zwei Visionäre den gleichen Gedanken hatten. (tl)

Das Credo von Tahsin Dag: Ohne Plastik ist es besser. | Foto: Torsten Laudien

Fotos: Papacks

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