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Waffen, Zweiräder und viel mehr
Suhler Wirtschaftsgeschichte
Die Suhler Wirtschaftsgeschichte kennt viele Namen. Manche sagen nur Eingeweihten etwas. Oder sagt Ihnen der Name Friedrich König etwas? Er erfand Anfang des 19. Jahrhunderts die Schnelldruckpresse. Andere Namen wiederum hat jeder schon mal gehört und verbindet sie sofort mit Suhl. Ein solcher Name ist Simson.
Der legendäre Supra A von Simson | Foto: Thomas Doerfer – WikiCommons
Unter dem Namen Simson ist ein ehemaliger Waffen- und Fahrzeughersteller bekannt geworden, der im Laufe seiner Geschichte mehrmals umstrukturiert und umbenannt wurde. Das ursprüngliche Unternehmen wurde 1856 von den beiden jüdischen Brüdern Löb und Moses Simson in der Stadt Suhl gegründet. Seine heutige Bekanntheit erlangte Simson durch die in der DDR in großen Stückzahlen hergestellten Zweiräder. Mit insgesamt knapp sechs Millionen hergestellten Kleinkrafträdern war Simson der größte Hersteller von motorisierten Zweirädern Deutschlands.
Doch zurück in die Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Firma Simson & Co produzierte zunächst Holzkohlenstahl, der hauptsächlich für die Herstellung von Jagd- und Militärwaffen Verwendung fand. Hauptauftraggeber war die preußische Armee. Erste Aufträge für die Waffenfertigung kamen 1871, Jagdwaffen wurden ab 1880 produziert.
Ab 1896 erweiterte Simson seine Produktpalette und stellte die ersten Fahrräder her, die englischen Vorbildern ähnelten. Simson wurde bald zu einem der größten Fahrradproduzenten. 1907 begann die Entwicklung von Personenkraftwagen. Für die Produktion war eine ehemalige Möbelfabrik in Suhl ersteigert worden. Aber erst 1911 verließ ein markttaugliches Modell das Werk. Es war allerdings nicht sehr erfolgreich.
Der Waffenschmied symbolisiert die Suhler Tradition der Waffenherstellung | Foto: Henry Czauderna – stock.adobe.com
Auch in der DDR war man stolz auf die Jagdwaffen aus Suhl | Foto: Lothar Grünewald – WikiCommons
Gewehre und die erste produzierte Million
Inzwischen war Simson zum größten Arbeitgeber der Stadt Suhl aufgestiegen, ein Umstand, der durch die erweiterte Waffenproduktion während des 1. Weltkriegs noch verstärkt wurde. Simson fertigte Teile für Maschinengewehre, Gewehre, kleine Geschütze, Flugmotoren und Sanitätskraftwagen. Nach Kriegsende kam für Simson ein besonderer Glücksfall. Die Alliierten bestimmten das Unternehmen zum alleinigen Ausrüster der Reichswehr. Allerdings verließen sich die Eigentümer nicht auf dieses eine Standbein. 1924 begann die Serienproduktion von Automobilen der Luxusklasse. Besondere Bekanntheit erlangte der Simson Supra, der auch im Rennsport erfolgreich war. Ab 1930 wurden außerdem Kinderwagen hergestellt.
Als die Nationalsozialisten 1933 an die Macht kamen, stand es für die Firma der jüdischen Familie Simson schlecht. Die Eigentümer wurden enteignet, der Betrieb „arisiert“. 1936 gelang den Simsons die Flucht in die Schweiz, später wanderten sie in die USA aus. Das Unternehmen fertigte unter dem Namen Gustloff-Werke – Waffenwerk Suhl nur noch Rüstungsgüter.
Nach dem 2. Weltkrieg wurde der Betrieb weitgehend demontiert, die meisten Maschinen gingen als Reparationsleistungen in die Sowjetunion – ebenso wie die mit den restlichen Anlagen produzierten Kinderwagen, Fahrräder und Jagdwaffen. Die Sowjets waren es aber auch, die die Zweiradproduktion wieder in Gang brachten. Auf ihren Befehl ging die Entwicklung eines Motorrades zurück, das später Kultstatus erhalten sollte – die AWO 425.
Ab 1955 produzierte der nunmehr volkseigene Betrieb als VEB Fahrzeug- und Gerätewerk Simson Suhl neben der AWO 425 auch Mopeds, Mokicks und Roller. Bereits am 13. September 1962 verließ das einmillionste Kleinkraftrad die Produktionshallen bei Simson.
Nicht erst seit „Schwester Agnes!“ Kult: die Schwalbe | Foto: Stefan Kühn – WikiCommons
AWO 425 Sport | Foto: yellowsunshine, WikiCommons
Simson-Emblem | Foto: Membeth -WikiCommons
1985 wurde der SR 50 auf der Leipziger Herbstmesse vorgestellt. | Foto: Helmut Schaar, Bundesarchiv
Suhler Wirtschaftsgeschichte: Kult Simson
Nachdem die Waffenproduktion zwischenzeitlich in einen eigenen VEB ausgelagert wurde, kamen 1969 beide Werke wieder zusammen. Von da an hieß der Betrieb VEB Fahrzeug- und Jagdwaffenwerk „Ernst Thälmann“. Der Name Simson war da aber bereits wieder in aller Munde, nämlich als Markenname der Mopeds, Mokicks und Roller. Die legendäre „Simson-Vogelserie“ erblickte ab 1964 das Licht der Welt.
Nach der Wende wurde das Fahrzeug- und Jagdwaffenwerk aufgespalten und privatisiert. So entstand die Simson Fahrzeug GmbH. Der Anfang vom Ende war eingeläutet. Die Treuhand wickelte das Unternehmen ab. Am Silvestertag 1991 wurde die Produktion eingestellt. Allerdings hatten zuvor einige Mitarbeiter die Simson Fahrzeug GmbH gegründet und nahmen zu Jahresbeginn die Fertigung wieder auf. Die bisherige Produktpalette wurde aufgehübscht und zunächst weiter produziert.
Das Jahr 1996 markierte einen Wendepunkt für Simson. Die Modellpalette wurde erheblich ausgeweitet und diverse Neuentwicklungen in Serie übergeführt. Die Bezeichnung in griechischen Buchstaben wurde aufgegeben, stattdessen wurden die bereits zu DDR-Zeiten verwendeten Vogelnamen aufgegriffen. Neben diversen aufgewerteten Fahrzeugen wurden auch wieder die einfachen Grundausstattungen der in der DDR entwickelten Typen S 53 und SR50/1 zu relativ niedrigen Preisen angeboten. Am anderen Ende der Skala kamen ein moderner Scooter mit stufenlosem Automatikgetriebe, sportliche Mokicks mit Zentralfederbein und andere Typen ins Angebot. 1998 stieg man mit einer Motorrad-Neuentwicklung in die 125er Klasse ein. Doch der Verkauf der neuen Modelle verlief nur schleppend. Nach diversen Managementfehlern musste das Unternehmen Insolvenz anmelden und am 30. September 2002 die Produktion einstellen. Seitdem lebt der Name Simson nur noch in einer Gesellschaft weiter, die unter anderem die Markenrechte verwaltet.
Die Waffensparte der Simsons hätte fast ein ähnliches Schicksal ereilt. Heute gehört sie der Merkel Jagd- und Sportwaffen GmbH – auch so ein bekannter Name der Suhler Wirtschaftsgeschichte. (tl)