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Wie gelingt moderne Führung als Unternehmensnachfolger?

Von Reibungshitze und dem Wert von Experimenten

Sven Lindig gilt in Thüringen als Vorzeigeunternehmer. Seine Firma, die Lindig Fördertechnik, ist ein Traditionsunternehmen. Es wurde vor 125 Jahren als Schmiede in Eisenach gegründet. 2011 hat Sven Lindig es vom Vater übernommen. Im Gespräch mit dem WIRTSCHAFTSSPIEGEL gibt er Einblicke in den Prozess der Unternehmensnachfolge und die Schritte, die er seitdem gemeinsam mit seinem Team gegangen ist.
01062024 - Sven Lindig ist Inhaber der Foerdertechnik Lindig in Krauthausen bei Eisenach in Thueringen. Foto: Paul-Philipp Braun
Foto: Paul-Philipp Braun
Im Jahr 2002 kehrte Sven Lindig nach Abschluss seines BWL-Studiums ins Familienunternehmen zurück. Diese Rückkehr gestaltete sich zunächst herausfordernd, da er im Studium viele Dinge anders gelernt hatte, als sie in der Praxis des Unternehmens gehandhabt wurden. „Ich gebe gern zu, es war nicht immer einfach, mit unterschiedlichen Ansichten mit meinem Vater auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen“, gesteht er offen ein. Bis 2011 arbeitete er im Unternehmen mit, bevor er die Leitung übernahm. Natürlich kam es dabei auch zu „Reibungshitze“, wie er es ausdrückt, doch insgesamt verlief die Übergabe erfolgreich. Heute sei die Beziehung zu seinem Vater besser denn je.

Der Generationswechsel im Unternehmen sei von der Belegschaft gut aufgenommen worden. Bereits 2010 habe man damit begonnen, das Unternehmen mit der TEMP-Methode neu aufzustellen, nachdem zuvor immer hart im Tagesgeschäft gearbeitet worden war. (Die TEMP-Methode teilt sämtliche unternehmerischen Aufgaben in vier Bereiche. T steht für Teamchef; E für Erwartungen des Kunden; M für Mitarbeitende und P für Prozesse. In jedem einzelnen Bereich wird mit einfachen Tableaus die Ist-Situation erfasst. Dabei werden Stärken, Schwächen und Engpässe identifiziert.; d. Red.) Die Neuaufstellung konzentrierte sich vor allem auf Strategie und Planung und beinhaltete demzufolge aber auch eine Bestandsaufnahme, bei der die verschiedenen Unternehmensbereiche analysiert wurden. „Während einige Themen – etwa Kundenorientierung – sehr gute Noten erhielten, gab es andere Bereiche mit weniger erfreulichen Ergebnissen“, berichtet er. Vor 14 Jahren gehörte dazu etwa die Mitarbeiterzufriedenheit, woran seitdem intensiv gearbeitet wurde.

Ein wesentlicher Erfolgsfaktor sei die größere Eigenverantwortung der Belegschaft gewesen. „Einer der größten Frustfaktoren für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist es mit Sicherheit, wenn sie merken, dass sie in ihrer Arbeit nicht mehr selbstbestimmt sind. Freiheit und Verantwortung gehen aber miteinander einher.

Licht und Schatten: das Projekt „Innofarm“ bei Lindig

Praktisch wurde die Übergabe durch verschiedene Schritte begleitet. Zunächst habe man Interviews mit den Führungskräften durchgeführt und diese dann geschult, um Veränderungen zu analysieren. So wurden beispielsweise Kommunikationszahlen auf den unterschiedlichen Wegen gegenübergestellt. Im Rahmen des „Innofarm“-Projekts der TU Ilmenau wurde zuletzt auch das Thema der Vier-Tage-Woche untersucht. „Wir haben das erst einmal getestet. Mehr als 60 Kollegen haben mitgemacht, teilweise ganze Bereiche, zum Teil auch nur Einzelpersonen“, beschreibt er den Prozess. Die Zusammenarbeit mit Professor Bach habe bereits 2016 begonnen. Seitdem begleitet die TU Ilmenau das Unternehmen wissenschaftlich auf seinem Weg in die Neue Arbeitswelt, zuletzt mit dem nun abgeschlossenen Projekt „Innofarm“.

Auf die Frage, wie das Experiment mit der Vier-Tage-Woche ausgefallen sei, räumt Sven Lindig ein, dass das Ergebnis nicht eindeutig gewesen sei. „Unser Geschäftsmodell basiert darauf, dass die Hände von erfahrenen Kolleginnen und Kollegen beim Service und der Reparatur immer verfügbar sind.“ Während des Testzeitraums habe sich gezeigt, dass die Planung und Abstimmung in den Teams stark anstiegen, was kaum noch Raum für Netzwerkaktivitäten ließ.

Foto: Paul-Philipp Braun
Zudem reichten die 36 Wochenarbeitsstunden oft nicht aus, um die Kunden zu begeistern, was wiederum zu wenig familienfreundlichen Arbeitszeiten führte. „Die Vier-Tage-Woche hat in manchen Unternehmensteilen sogar zum Rückgang in Punkto Flexibilität geführt“, fügt er hinzu, betont jedoch auch, dass einige Teams durch die Zeitreduzierung ihre Strukturen und Prozesse verbessern konnten. Leider sei dies nicht durchgängig der Fall gewesen.

Somit kam es nun bei Lindig nicht zur dauerhaften Einführung einer Vier-Tage-Woche. Das Unternehmen arbeitet aber weiter mit vielfältigen Maßnahmen daran, den Grad der Selbstorganisation sowie die Flexibilität für die Beschäftigten weiter zu erhöhen und so zum Top-Arbeitgeber der Region zu werden.

Beeindruckende Entwicklung

Das Wachstum des Unternehmens in den letzten Jahren ist beeindruckend: 2010 erzielte man einen Umsatz von etwa 33 Millionen Euro, im letzten Jahr waren es 100 Millionen Euro. Auch die Mitarbeiterzahl stieg von etwa 150 auf über 400. Doch ein solches Wachstum lässt sich nicht vollständig steuern. „Ich kann nicht an einem Joystick sitzen und in einem komplexen Umfeld alles selbst regeln. Stattdessen haben wir gute Leute einzustellen und dann auch wie Erwachsene zu behandeln.“

Seine Kraft für diesen Weg schöpft Sven Lindig aus einem positiven Menschenbild. „Ich habe auch meine Enttäuschungen erlebt, das waren nicht wenige. Eine Reaktionsmöglichkeit wäre es, ins Misstrauen zu gehen. Aber ich gehe andersherum ran: Ich gebe einen Vertrauensvorschuss, der sich nicht erst verdient oder erarbeitet
werden muss.“ Dieses Vertrauen prägt auch die Strukturen im Unternehmen. Überwachungssysteme lehnt Lindig ab, da sie Misstrauen erzeugten und so einen Teufelskreis in Gang setzten.

Was die Zukunft seines Unternehmens betrifft, sieht Lindig im Logistikbereich – auch im Zusammenhang mit E-Commerce – großes Wachstumspotenzial. Zugleich werde das Thema Automatisierung, etwa durch fahrerlose Transportsysteme, in Zukunft eine bedeutende Rolle spielen. (tl)

Foto: Paul-Philipp Braun

Über das Projekt INNOfarm

Die Lindig Fördertechnik hat nach Möglichkeiten gesucht, Entscheidungen so zu treffen, dass sie möglichst im ersten Anlauf von den Mitarbeitenden akzeptiert und umgesetzt werden. Die Kernidee lautet, dass man einen höheren Aufwand und Zeitbedarf für die Entscheidungsfindung in Kauf nimmt, wenn sich dies in einer beschleunigten Umsetzung niederschlägt. In Abhängigkeit von der Art der Entscheidung kommen bei Lindig sowohl das sogenannte Konsent-Prinzip als auch das Systemische Konsensieren zum Einsatz. Beide Verfahren der Entscheidungsfindung fokussieren nicht auf Zustimmung, sondern zielen darauf ab, Einwände zu erfassen, Fehlentscheidungen zu verhindern und Widerstände unter den Mitarbeitenden bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen.

Mehr zu dem Projekt gibt es hier.

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