Pausenüberbrückung als Lern-Stück für Selbstorganisation
Es ist schon bald fünf Jahre her, dass sich bei der Sealable Solutions GmbH einiges geändert hat. Damals übernahmen Matthias Klug und Matthias Orth das vormalige Werk der Dätwyler Sealing Technologies Deutschland GmbH. Sie bauten das Unternehmen um, passten einige Sachen an und entwickelten sich und auch den Betrieb weiter. „Wir waren zwar damals schon Teil eines Konzerns, aber zugleich waren wir immer eine Insel mit einem gewissen Sonderstatus. Wir waren die einzige Organisationseinheit, die in der Extrusionstechnologie tätig war und die Märkte mit extrudierten Profilen und Rahmen bedient haben. Es war schon damals ein gut geführtes und strukturiertes Unternehmen, das aber mit der Zeit nicht mehr in die Konzernstrategie gepasst hat“, erinnert sich Matthias Klug heute.
Neuausrichtung durch Management-Buyout: Sealable Solutions setzt auf Standortstärke in Waltershausen
Durch den Management-Buyout öffnete sich die Möglichkeit, das Unternehmen nach ihren eigenen Vorstellungen zu gestalten. Das bedeutete nicht nur strukturelle, sondern auch kulturelle Veränderungen, um den Wandel zu einem mittelständischen Betrieb ohne Konzernabhängigkeit zu vollziehen. „Wir wollten den Blick nicht nur auf den Umsatz und wirtschaftliche Kennzahlen richten, sondern das Unternehmen als Gesamtheit weiterentwickeln“, betont Klug und verweist auf die langfristige Vision des Teams. Die Entscheidung für Waltershausen als Unternehmensstandort ist für beide Geschäftsführer von besonderer Bedeutung. Matthias Orth beschreibt es so: „Das ist einfach unsere DNA.“
Schon zu DDR-Zeiten gab es in der Region um Waltershausen ein großes Gummiwerk, was den Standort ideal für die Kautschukbranche machte. „Wir sind quasi die Urenkel des Ursprungs der hiesigen Kautschukverarbeitung. Hier in der Region existiert ein gewaltiges Know-how, das über Generationen weitergegeben wurde.“ Auch Matthias Klug schätzt die Clusterbildung in Westthüringen: „Cluster wie in Waltershausen gibt es auch international. In den USA ist es zum Beispiel Ohio, in Hamburg gibt’s auch eins.“ Die Verbundenheit mit der Region und die Bedeutung der Ansiedlung eines mittelständischen Unternehmens seien entscheidende Faktoren, warum Sealable Solutions trotz globalem Wettbewerb in Thüringen bleibt. „Wir wollen hier nicht nur produzieren, sondern auch mit der Region wachsen und sie stärken,“ erklärt Orth.
Mit dem Standort Deutschland sehen sich die Geschäftsführer jedoch auch einigen Herausforderungen gegenübergestellt. Neben dem weltweiten Wettbewerb nennt Klug die Personalgewinnung und Bürokratie als Kernherausforderungen. „Wir wollen in diesem eher konservativen Bereich trotzdem innovativ sein und moderne Lösungsansätze finden“, erklärt er. Es sei ihnen wichtig, dass der Standort langfristig erhalten und wettbewerbsfähig bleibe, was jedoch eine kontinuierliche Anpassung erfordere. Orth fügt hinzu, dass es heute nicht mehr nur um ein Machtgefälle zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gehe: „Es ist inzwischen ein Austausch auf Augenhöhe, und wir als Arbeitgeber haben da einiges mehr zu leisten als noch vor zehn Jahren.“ Die zunehmende Individualität der Mitarbeitenden stelle neue Ansprüche an Benefits und Organisationsformen. „Wir legen daher großen Wert auf eine faire und transparente Kommunikation, um den Erwartungen gerecht zu werden und ein vertrauensvolles Umfeld zu schaffen“, betont Orth.
Erfolg durch Doppelspitze: Klare Rollenverteilung als Basis für strategische Entscheidungen
Die Doppelspitze mit den beiden Geschäftsführern war eine bewusste Wahl, die auf gegenseitiger Ergänzung basiert. „Es sind unsere Unterschiede, die es erfolgreich machen“, erklärt Orth. Während Matthias Orth die operativen und finanziellen Belange leitet, bringt Klug seine Expertise im Vertrieb ein. „Wir haben schnell festgestellt, dass diese Kombination ideal ist. Wir sind befreundet und kennen uns seit Kindertagen, und eine Doppelspitze funktioniert unter solchen Voraussetzungen echt gut“, so Klug. Ihre unterschiedlichen Kompetenzen würden ein Gleichgewicht schaffen, das das Unternehmen in allen Bereichen unterstützt. Die beiden Geschäftsführer wissen, dass eine klare Rollenaufteilung den nötigen Raum für strategische Entscheidungen schafft und ihre Stärken zur Geltung bringt. „Ich bin froh, Matthias an meiner Seite zu haben – unsere Teamarbeit ist der Schlüssel zu unserer erfolgreichen Zusammenarbeit“, resümiert Matthias Klug.
Innovative Arbeitsorganisation stärkt Teamgeist und Führungskultur
Ein wichtiger Meilenstein für Sealable Solutions war die Teilnahme am Innofarm-Projekt. Dieses, so erklärt Orth, entstand in Zusammenarbeit mit der Technischen Universität Ilmenau. Ziel sei es, „Mitarbeiter durch neue Formen der Arbeitsorganisation stärker einzubinden und einen Methodenbaukasten für andere mittelständische Unternehmen zu entwickeln.“ Das Projekt hat dem Unternehmen neue Perspektiven auf Teamarbeit und Führungsstrukturen eröffnet, die jetzt schrittweise in den Alltag integriert werden. Durch die wissenschaftliche Begleitung des Projekts haben sie wertvolle Erkenntnisse gewonnen, die sie in Zukunft anwenden können, um die Arbeitskultur noch besser zu gestalten. „Es geht darum, sich stetig zu hinterfragen und offen für Verbesserungen zu bleiben,“ erklärt Orth. Sie würden darin eine Chance sehen, die Unternehmenskultur aktiv und zukunftsorientiert zu formen.
Selbstorganisation als Schlüssel zur Effizienzsteigerung
Dabei habe sich gezeigt, dass sich das Unternehmen von anderen Beteiligten unterscheidet, wie Orth betont: „Wir sind das einzige Unternehmen, das in einem 3-Schichtbetrieb arbeitet und dadurch andere Schwerpunkte in der Organisationsentwicklung hat.“ Für Sealable Solutions ging es hauptsächlich um die Selbstorganisation in der Produktion, um die klassische Zielvorgabe der Stückzahlen neu zu gestalten. Das Projekt erforderte von den Mitarbeitenden, sich neue Kompetenzen in Organisation und Eigenverantwortung anzueignen. Diese Herausforderung hat das Team zusammengeschweißt und zu einer Steigerung der Produktivität geführt, was die positiven Auswirkungen des Projekts unterstreicht. „Unser Ziel war es, dass die Mitarbeitenden nicht nur Aufgaben ausführen, sondern sich auch als Mitgestalter sehen,“ so Orth. Die Verantwortung in die Produktionsteams zu geben, sei eine wichtige Entwicklung, um Flexibilität und Effizienz zu fördern.
Die Pausenüberbrückung funktioniert so: Während ein Mitarbeiter in die Pause geht, übernimmt ein Kollege seine Aufgabe an einer Anlage. Dadurch wird ein besserer Rundlauf geschaffen und die Produktion kann erhöht werden. Dadurch sind die Mitarbeitenden in der Lage, auch eigentlich artfremde Aufgaben für eine kleine Weile zu übernehmen.
Ein überraschendes Ergebnis dieser Selbstorganisation war das Modell der „Pausenüberbrückung“. Hierbei übernimmt ein Kollege während der Pause eines anderen die Aufgaben an der Anlage, was einen besseren Rundlauf ermöglicht und die Produktion steigert. Orth sieht darin einen Erfolg: „Unsere Mitarbeiter arbeiten dadurch noch besser im Team zusammen, und niemand muss auf seine Pausen verzichten.“ Die Pausenüberbrückung fördert zudem das Verständnis für die Aufgaben anderer und stärkt den Teamgeist, indem sie eine flexible Unterstützung innerhalb der Schichten ermöglicht. „Wir haben festgestellt, dass die Mitarbeitenden dadurch auch neue Fähigkeiten entwickeln und bereit sind, Verantwortung füreinander zu übernehmen,“ fügt Klug hinzu. So wird die Pausenüberbrückung nicht nur als organisatorisches Tool genutzt, sondern auch als Zeichen für das kollektive Engagement im Team.
Flexible Lösungen und klare Strukturen: Eigenständige Organisation mit notwendiger Hierarchie
Allerdings, wie Orth feststellt, gibt es auch Grenzen für dieses Modell: „Die Pausenüberbrückung funktioniert nicht in jedem Teilbereich.“ Unterschiedliche Arbeitsbereiche verlangen unterschiedliche Lösungen. In der Verwaltung oder bei bestimmten spezialisierten Produktionsprozessen seien flexible Modelle weniger geeignet, weshalb weiterhin individuelle Anpassungen nötig sind. „Wir wollen nicht einfach starre Vorgaben machen, sondern dort flexibel bleiben, wo es Sinn ergibt,“ erklärt Orth. So bleibe man offen für kontinuierliche Verbesserungen und könne sich auf neue Herausforderungen besser einstellen. Klug betont: „Wir sind noch voll im Prozess, und uns ist bewusst, dass dieser nie enden wird.“
Neben der Selbstorganisation erkennt Orth den Wert eines gewissen Maßes an Hierarchie und Struktur. „Ein gewisser Grad von Hierarchie ist sehr nützlich und vernünftig“, erläutert er. Auch ein gewisses Maß an Bürokratie und Führung seien für bestimmte Mitarbeitergruppen essenziell, da nicht jeder gleichermaßen eigenverantwortlich arbeiten möchte. Die Erkenntnis, dass verschiedene Mitarbeitertypen unterschiedliche Bedürfnisse und Arbeitsstile haben, hat dazu geführt, dass sie individuellere Führungskonzepte erarbeitet haben. „So wird jeder bestmöglich eingebunden, und die Gesamtproduktivität steigt,“ erklärt Orth. Das Bewusstsein, dass Individualität und Teamarbeit sich nicht ausschließen, hat die Unternehmenskultur nachhaltig geprägt.
Authentizität als Erfolgsfaktor
Durch ihre Erfahrungen und Anpassungen habe Sealable Solutions die Unternehmenskultur stetig weiterentwickelt. „Wir sind einfach so, wie wir sind“, sagen beide Geschäftsführer übereinstimmend – und genau diese Authentizität würden auch die Mitarbeitenden spüren. Für Orth und Klug ist die Authentizität der Schlüssel, um ein positives und produktives Umfeld zu schaffen, das auf Ehrlichkeit und Vertrauen basiert. Diese Werte seien nicht nur Teil der Führungsebene, sondern würden im gesamten Unternehmen gelebt. „Wir möchten ein Umfeld schaffen, in dem sich jeder wertgeschätzt fühlt und motiviert ist, gemeinsam die Ziele des Unternehmens zu erreichen,“ schließt Orth ab.
Über das Projekt INNOfarm
Im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekts InnoFARM haben drei Thüringer KMU innovative Formen von Arbeit getestet. Ein Team der TU Ilmenau hat die dabei gemachten Erfahrungen ausgewertet und in einem Methodenbaukasten aufbereitet.
Ein Pilotprojekt im Rahmen von InnoFARM ist die Selbstorganisation in der Fertigung, die bei der SEALABLE Solutions GmbH genutzt wurde. Einerseits war man anhand von Erfahrung und Nutzung von REFA-Methoden davon überzeugt, die Fertigung sei bereits optimal organisiert. Andererseits wurden unterschiedliche Leistungen zwischen den Teams und durchaus längere Pausenzeiten einzelner MitarbeiterInnen beobachtet. Die Geschäftsführung nahm einen durch Materialengpässe gefährdeten Liefertermin zum Anlass, die Aus führenden selbst um Ideen zu bitten, wie unter Einhaltung aller arbeitsrechtlichen Vorschriften die Mitarbeiterkapazität in den Schichten besser genutzt und die Maschinen still stand zeit reduziert werden könnte. Die Mitarbeitenden zeigten auf, dass die bisherige Arbeitsorganisation nach REFA zwar den Einzelarbeitsplatz optimiert, jedoch Potenziale auf der Gruppen- oder Schichtebene vernachlässigt hatte. Der Vorschlag, die vorgeschriebenen Pausenzeiten in Selbstorganisation der Mitarbeitenden einer Schicht wechselseitig zu überbrücken, konnte sofort umgesetzt werden. So konnte die Maschinenstillstandzeit um 30 Prozent reduziert werden.
Mehr zu dem Projekt gibt es hier.