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Plötzlich Führungskraft – und nun?

Unterwegs auf der Karriereleiter

Wir erleben Veränderungen in den Leitungspositionen. Eine neue Generation von Führungskräften übernimmt die Verantwortung. Eben noch gefragte und anerkannte Fachkräfte im jeweiligen Spezialgebiet, jetzt plötzlich Vorgesetzte. Eben noch beliebtes Teammitglied, jetzt plötzlich an der Spitze einer Organisationseinheit. Was macht ein  Aufstieg in der Hierarchie mit den Menschen? Wie gehen alle Beteiligten am besten damit um? Fragen an den Organisationsberater Robert Fuhrmann.

Foto: privat

Es gibt im Wesentlichen zwei Karrierewege. Entweder man bewirbt sich auf eine Führungsposition in einem anderen Unternehmen oder man steigt innerhalb der eigenen Organisation auf. Konzentrieren wir uns auf den zweiten Fall. Worauf sollte sich die frischgebackene Führungskraft bei diesem Karriereschritt einstellen? Welche Rolle spielen alte und neue Loyalitäten, wenn man plötzlich zu „denen da oben“ gehört?

Ich möchte meine Antwort vorab einordnen. Sämtliche Situationen bedingen einen Kontext! Die nun folgende Antwort setzt also einen bestimmten, nicht näher beschriebenen Kontext voraus. Dies ist dem Format der Interviewfrage geschuldet, jedoch wichtig für das Verständnis.

Wird eine Person in eine Führungsposition gebracht, so wird sie dadurch mit hierarchischer, also formeller Macht ausgestattet. Lassen Sie uns zwei Szenarien betrachten.

Szenario A:

Die Person hatte schon vor der Ernennung zur Führungskraft Einfluss, zum Beispiel durch eine informelle, fachliche Führungsrolle, die ihr von Kollegen und Führungskräften zugesprochen wurde. Die Person erhält also in unserem Szenario A zusätzlich zu der ihr zugesprochenen informellen, fachlichen Führung eine weitere Komponente, nämlich die formelle, hierarchische Führung. Da die Person bereits in der Rolle der informellen Führung Erfahrungen gesammelt hat, wie es ist zu führen, wird die zusätzliche verliehene hierarchische Macht sie vermutlich nicht trunken machen. Ausnahmen bestätigen die Regel, jedoch ist es weniger wahrscheinlich.

Die erwähnten alten Loyalitäten interpretiere ich in diesem Kontext als die von Kollegen und Führungskräften zugesprochene in formelle Führung, die vor der Ernennung zur Führungskraft erfolgte und die auf den Erfahrungen mit dieser Person beruhen. Diese Führungsrolle ist langlebig, da über einen längeren Zeitraum geprüft und erworben und wird sich daher nicht kurzfristig ändern. Somit ist wahrscheinlich, dass die alten Loyalitäten größtenteils bestehen bleiben und sich daneben neue Loyalitäten bilden können.

Szenario B:

Die Person hatte vor der Ernennung zur Führungskraft keinen nennenswerten Einfluss. Diese Person kann nicht auf Erfahrungswerte einer informellen Führung zurückgreifen. Auch mit dieser Person bestehen innerhalb der Organisation sicher alte Loyalitäten. Die Annahme ist hier, dass diese nicht auf dem Zuspruch von informeller Führung basieren, sondern auf anderen Grundlagen wie erworbene Abhängigkeiten durch langfristigen oder temporären Besitz von knappen Ressourcen oder Informationen.

In diesem Szenario treten die Veränderungen durch die Beförderung viel stärker zutage. Und zwar aus dem Grund, dass die Loyalitäten nicht wie in Szenario A über längere Zeiträume in vertrauensbildenden Prozessen erworben wurden und zugesprochen wurden (also auch wieder abgesprochen werden können). Sondern in diesem Szenario B gehe ich davon aus, dass die Loyalitäten durch Abhängigkeiten, Tauschhandel und/oder auch Macht- und/oder Informationsgefälle entstanden sind. Auf diese Konstellation wirken nun hohe Fliehkräfte, denn das System „eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus“ beziehungsweise „ich weiß, welche Leichen du im Keller hast“ war vor der Ernennung vermutlich in Balance. Durch die Verleihung hierarchischer Macht wird diese Balance empfindlich gestört und dies kann zu massivem Widerstand bis hin zur Vernichtung führen.

Diese Abläufe können in Szenario A ebenfalls entstehen. Noch einmal: Dies sind Ausschnitte aus möglichen Szenarien einer unglaublich großen Bandbreite. Was ich sagte, kann daher nur als Gedankenanregung und nicht als Schnittmuster dienen.

Wie kann man herausfinden, ob man sich als Führungskraft eignet?

Das ist ganz einfach. In dem man mutig ist, Entscheidungen vorschlägt oder trifft und dann empathisch mitbekommt, ob andere Personen einem folgen. Ein Beispiel: Eine Gruppe von lauter Flachland-Tirolern befindet sich in den Dolomiten und will zu einer hochgelegenen Berghütte wandern. Alle haben gleichviel Ahnung vom Bergsteigen. Nämlich gar keine. Bis auf einen, der schon mal im Mittelgebirge eine Wanderung mitgemacht hat.

Diese Person benötigt im ersten Schritt zwei Dinge. Erstens, eine Idee wie die Wanderung zur Berghütte zu bewerkstelligen wäre. Zweitens, den Mut mit dieser Idee in die Öffentlichkeit zu treten und sie vorzuschlagen. Natürlich übernimmt er damit Verantwortung. Was ein Grund sein könnte, warum Menschen davor zurückschrecken. Sind diese zwei Dinge erfüllt, ist sehr wahrscheinlich, dass die Gruppe ihm folgt. Gelingt es ihm/ihr dann noch die Gruppe auf das Ziel zu einen, so ist es recht wahrscheinlich, dass sich diese Person als Führungskraft eignet.

Im zweiten Schritt, und das ist gleichwertig wichtig, muss die vermutete Führungskraft in der Lage sein, dem Team einen Rahmen und Bedingungen zu organisieren, so dass sie als Team gemeinsam ihre Leistung auf die Straße bringen können. In unserem Beispiel sollte die Führungskraft also sicherstellen, dass Nahrung, Flüssigkeit und Sicherheit für die Gruppe vorhanden sind.

Und umgekehrt: Wie finden Vorgesetzte heraus, wer sich für den nächsten Karriereschritt eignet?

Indem sie Verantwortung abgeben, also Freiraum ermöglichen, in dem sich Mitarbeiter ausprobieren und zeigen können. Freiraum, in dem sich oben genannte Situationen ereignen können. So können Führungskräfte darauf achten, wo sich Könner in der Disziplin Führung zeigen, und diese identifizieren.

Welches Selbstbild müssen Führungskräfte heute haben: Persönliche Autorität, fachliche Kompetenz oder eher Motivatoren für die Belegschaft?

Ich bin der festen Überzeugung, dass man Menschen nicht motivieren kann. Man kann Menschen sehr wohl demotivieren und das geschieht hunderttausendfach jeden Tag. Menschen sind per se motiviert und Aufgabe der Führungskraft ist es, zu erkennen, was die Mitarbeitenden demotiviert, und diese Umstände zu reduzieren und zu eliminieren. Also, nein, Motivator für die Belegschaft ist es nicht.

Ebenso tritt fachliche Kompetenz deutlich in den Hintergrund. Steve Jobs sagte schon 1996 über die Suche nach den richtigen Talenten für sein Unternehmen Apple: „Es macht keinen Sinn, kluge Köpfe einzustellen und ihnen dann zu sagen, was sie zu tun haben. Wir stellen kluge Köpfe ein, damit sie uns sagen, was wir tun können.“

Von all den drei genannten Dingen ist es am ehesten persönliche Autorität. Die Crux daran ist: Von all den drei Dingen ist es der Aspekt, der am komplexesten ist und schwieriger zu erwerben ist als die beiden anderen Aspekte fachliche Kompetenz und Motivator.

Was ist ein klares Führungsverständnis?

Gegenfrage: Was ist Führung? Wenn ich den Begriff Führungsverständnis auseinandernehme, meint es ein Verständnis von Führung. Da ist es schon mal sehr hilfreich, wenn ich ein vages Verständnis davon habe, was Führung ist! Von klar möchte ich hier noch nicht träumen. Wie ich Führung definiere, habe ich in der Antwort auf die vorige Frage bereits angedeutet. Führung an sich kann man nicht erlernen. Führung wird der Person zugesprochen von denjenigen, die sagen: Dir folgen wir, denn wir vertrauen deiner Idee. Und wir vertrauen deiner Fähigkeit, uns auch bei rauer See und sich ändernden Bedingungen eine Umgebung zu schaffen, in der wir leisten können. Führung kann man nicht erlernen. Aber man kann die Dinge erlernen, die einen zu einem guten Lotsen im Sturm des Unbestimmten machen.

Was ist wichtiger: Ein gutes Verständnis für die Bedürfnisse der Mitarbeitenden oder das Verständnis für die Bedürfnisse der Kunden?

Eine absurde Frage, die unterstellt, das eine wäre wichtiger als das andere. Wie so häufig kommt es auf die Balance an. Nichts ist wirklich statisch in dieser Welt. Alles ist im Fluss. Panta rhei. In Organisation A sammeln sich Menschen, um gemeinsam ein Problem zu lösen. Und da sie das momentan besser als die Marktbegleiter B tun, bleiben sie im Markt erfolgreich. Doch Marktbegleiter B hat Ideen und stört das temporäre Gleichgewicht im Markt. Und Organisation A muss reagieren. Und genau deshalb braucht es Verständnis für beides, die Bedürfnisse der Mitarbeitenden, denn ohne sie gäbe es kein erfolgreiches Produkt. Und das Verständnis für die Bedürfnisse der Kunden, denn ohne sie gäbe es keinen Ertrag, gezahlt von den Kunden für eine erfolgreiche Problemlösung.

Letzte Frage: Es kann ja sein, dass man feststellt, dass der jüngste Karriereschritt einer zu viel war. Wie sollte man damit umgehen?

Hm. Hier würde ich wie so häufig antworten: Definiere „zu viel“. Arbeiten wir wieder in Szenarien.

Szenario A:

Ich habe einen Karriereschritt gemacht und stelle fest, dass die Anforderungen, die diese Stelle in dieser Organisation mit sich bringt, über dem liegt, was ich bereit bin zu leisten. Werkleiter wollte ich schon gerne werden, die Kohle einstreichen und die Macht spüren, wenn ich über das Werksgelände laufe. Aber ständig erreichbar zu sein, Familie und Freunde hintenanstellen zu müssen und zum Reporting immer ins Ausland zu fliegen, das wollte ich nie. Tja, dann: Offen damit umgehen. Sagen, dass die Aufgabe reizvoll ist, aber die Rahmenbedingungen nicht passen und man daher die Verantwortung in andere Hände legen möchte.

Szenario B:

Ich habe einen Karriereschritt gemacht und mein Gefühl sagt mir, dass das genau das Richtige ist. Aber ich fühle mich noch total unsicher. Das ist gut! Hier findet gerade Lernen statt und die Symptome zeigen, dass hier gerade eine Lernkurve steil geht. Durchhalten, Hilfe und Unterstützung organisieren, Last auf mehrere Schultern verteilen und durchhalten. Das, was nach der Unsicherheit kommt, ist viel zu schön, um es sausen zu lassen. Da kommt nämlich ein reiferer Mensch heraus. Ganz wichtig dabei: Das Bauchgefühl muss klar positiv sein, muss klar sagen: Das ist es, was ich wollte, ich fühl mich fachlich wohl.

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