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„Mir gefällt das Bild des Motors oder der Lokomotive besser“
Im Gespräch mit Jenas Oberbürgermeister Dr. Thomas Nitzsche
Lichtstadt oder Leuchtturm – oder doch besser etwas anderes? Jena hat viele Beinamen. Dr. Thomas Nitzsche führt die Geschicke der Stadt seit Sommer 2018. Im WIRTSCHAFTSSPIEGEL-Interview erklärt er, wie er mit diesen Zuschreibungen umgeht, erläutert vor diesem Hintergrund seinen Ansatz zum Umgang mit der benachbarten Region und gibt nicht zuletzt ein paar Tipps zu Plätzen, die vielleicht noch nicht jeder in Thüringen kennt.

Foto: Tobias Stepper
Herr Oberbürgermeister, wenn in wirtschaftlicher Hinsicht in den Medien von Jena die Rede ist, fällt nicht selten der Begriff „Leuchtturm“. Können Sie mit dieser Zuschreibung etwas anfangen und wie gehen Sie damit um?
Nun ja, die Metapher hat selber Licht und Schatten. Freilich schmeichelt sie der Stadt erst einmal, wohl auch nicht unverdient. Und klar: Lichtstadt und Leuchtturm, auch das scheint auf den ersten Blick schon zu passen. Aber dann: am Fuß eines Leuchtturms ist es dunkel, und der Blick des Turms schweift weit und ignoriert seine unmittelbare Umgebung – beides ist bei uns nicht so. Besser gefällt mir das Bild des Motors oder der Lokomotive, auch so werden wir oft und gern bezeichnet.
Lassen Sie uns (trotzdem) noch für einen Moment bei diesem Begriff bleiben. Ein Leuchtturm soll Schiffen, die sich auf See in der Nähe befinden, Orientierung bieten. Welche Orientierung kann die Stadt Jena ihrem näheren Umfeld geben? Oder anders gefragt: Wie gestalten Sie die interkommunale Zusammenarbeit in der Region?
Es ist genau der interkommunale Ansatz, den wir in den vergangenen Jahren stark gemacht haben und seit 2018 mit unseren Nachbarn in der Region gemeinsam leben. Kooperation schafft Mehrwert. Es ist nicht mehr nur mein persönliches Credo, dass eins plus eins mehr als zwei ergeben kann, wenn Partner auf Augenhöhe und zum beiderseitigen Vorteil zusammenarbeiten.
Gibt es dafür konkrete Beispiele?
Ein greifbarer Erfolg war die Zusammenführung der Nahverkehrsbetriebe der Stadt Jena und des Saale-Holz land-Kreises zu einem Unternehmen. Das hat für das Fahrpersonal mehr Flexibilität und bessere Arbeitsbedingungen gebracht, und für das neue Unternehmen Synergien in der Beschaffung. Vor allem aber kann die Linientaktung nun eng abgestimmt erfolgen, viele Überlandlinien starten oder enden ja in Jena. So gehören in effiziente Parallelverkehre nun der Vergangenheit an.

Alt und neu liegen in Jena eng beieinander. | Foto: Stadt Jena / Steffen Walther
Gemeinsam mit dem Landkreis gehen wir auch unsere drängendsten Themen an, und die haben meist mit dem Mangel an Fläche im Jenaer Stadtgebiet zu tun. Wir pilotieren gerade ein interkommunales Gewerbegebiet, bei dem Rothenstein Flächenspender ist und Jena die Kosten für deren Erwerb und Erschließung schultert. Besser als allein können wir so Unternehmen in die Region holen oder hier halten. Und am langen Ende teilen sich beide Gemeinden fair ins Aufkommen der Gewerbesteuer.

Jena vom Wasser aus entdecken: Ein Geheimtipp von Jenas Oberbürgermeister Thomas Nitzsche | Foto: Stadt Jena / Steffen Walther
Ein guter Teil der Jenaer Bevölkerung hat einen akademischen Hintergrund – Studierende, Lehrkräfte, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Fachleute, die in den Hightech-Firmen arbeiten. Aber es gibt ja auch diejenigen, die alt eingesessen sind und nur wenige Berührungspunkte mit der – nennen wir es einfach mal – Bildungs- und Technologie-Elite haben. Das könnte soziales Konfliktpotenzial bergen. Wie gehen Sie mit diesem Thema in der Stadtentwicklung um?
Vom Mindset her funktioniert das Miteinander dieser beiden Gruppen in Jena ausgezeichnet. Aufpassen müssen wir, dass unser drängendstes Problem keine Konflikte schürt: der Mangel an Wohnraum. Auch in Jena gibt es günstigen Wohnraum, aber der Bedarf gerade für den nicht so prallen Geldbeutel ist immer höher als das Angebot. Um die Mieten insgesamt im Griff zu behalten, müssen wir bauen, bauen, bauen. Nur: Innerhalb der Stadt grenze, also durch Verdichtung und stärkere Höhenentwicklung allein, wird Jena diese Knappheit nicht auflösen können. Daher erstellen wir gemeinsam mit mehr als einem Dutzend Gemeinden im Saale-Holzland ein Konzept zur Entwicklung von Wohnraum im Umland, von dem klar ist, dass dort Menschen wohnen werden, die in Jena arbeiten wollen. Die Umlandgemeinden können in der Regel keinen so hohen Eigenbedarf nachweisen und sind deswegen mit ihren Wünschen auf Erweiterung in der Vergangenheit oft gescheitert. Das Konzept ist nun der Türöffner, der ei ne solche Entwicklung regionalplanerisch zulässig macht – zum Vorteil beider Seiten.
Goethe, der eine enge Verbindung zu Jena hatte, lässt seinen Götz von Berlichingen sagen: „Wo viel Licht ist, ist starker Schatten.“ Der Schatten, den ich meine, liegt am rechten Rand, scheint sich aber bisweilen über die ganze Stadt zu legen. Wie ist Ihre Haltung dazu und wie gehen Sie damit um?
Die Wahlergebnisse sind in Jena schon immer anders als in Thüringen, das war auch diesmal so. Der rechte Rand ist bei uns nur halb so stark wie im Freistaat. Wir sind eine sehr junge, dynamische und weltoffene Stadt. Wir kommunizieren diesen Anspruch deutlich, und wir leben ihn auch. Nur so können die Branchen, die unseren Erfolg ausmachen, die dafür dringend benötigten Fachkräfte finden und an sich binden. Wir denken das international, denn der Nachwuchs aus der Region allein deckt den Bedarf in den nächsten Jahren und Jahrzehnten nicht, auch wenn wir alle Absolventen hier halten.
Gestatten Sie mir noch eine letzte und private Frage: Sie kennen Ihre Stadt wie Ihre Westentasche. Haben Sie einen Geheimtipp für unsere Leserschaft, der sich in keinem Reiseführer findet?
Die große Stärke Jenas und für viele der wichtigste Wohlfühlfaktor ist die Qualität der Natur nahe bei und mitten in der Stadt. Je öfter ich darüber spreche, umso weniger bleiben das natürlich Geheimtipps. Aber, pssst: Mein persönlicher Lieblingsort ist die Sitzbank am Landgrafen, mit wunderschönem Blick in die Täler Richtung Süden und Westen. Gern empfehle ich auch Deutschlands schönsten Wanderweg, die überaus abwechslungsreiche Saalehorizontale. Ebenso lockt die renaturierte ehemalige Trasse der A4 im Leutratal, mit einer außergewöhnlich hohen Vielfalt an Orchideen und mit herrlichen Buchenwäldern. Oder Wasserwandern auf der Saale: die Stadt vom Fluss aus erleben. Auch da wird man rasch merken, wieviel Natur es im Jenaer Stadtgebiet tatsächlich gibt.
Interview: Torsten Laudien