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Gastbeitrag: Professor Dr.-Ing. Jean Pierre Bergmann, Fachgebietsleiter Fachgebiet Fertigungstechnik, TU Ilmenau

Aktuelle Trends in der Fertigungstechnik

Zusammenarbeit von Mensch und Maschine auf neuer Ebene – eine punktuelle Sicht auf den Stand und die Perspektiven

Punktuelle Anlässe besinnen uns darauf, wiederkehrend die Strukturen unserer Gesellschaft zu überprüfen, die Leistungs­fähigkeit dieser erneut zu bewerten und entsprechende Prognosen zu erstellen. Die COVID-19-Pandemie hatte im ersten Schritt nichts mit der Fertigungs­technik zu tun, ihre Auswirkungen auf die Mobilität der Menschen und der Güter schlug jedoch mit großer Wucht ein. Bereits etablierte und ausgereifte Liefer­ketten fielen aus, die lokale Produktion und die Fertigung mussten rasch umrüsten und kompensieren.

Der im Anschluss begonnene Konflikt fror einen weiteren Teil von Produktions­stätten sowie die Lieferung von Rohstoffen ein. Umso mehr nehmen die in 2015 von der UN verabschiedeten Nachhaltig­keits­ziele (wie beispielsweise „nachhaltige Konsum- und Produktions­muster sicherstellen“) eine besondere Bedeutung ein, die auch und insbesondere für die Fertigungs­technik eine klare Ausprägung zu einer ressourcen­schonenden Produktion und zur Entwicklung innovativer, nachhaltiger Technologien und Werkstoffe bedeuten.

Die Fertigungstechnik beschreibt als Fach­disziplin die unterschiedlichen Schritte: vom Ausgangsstoff und -zustand bis hin zum Herstellen eines Produktes mit einer geometrischen Form und gewünschten Funktionali­täten, wie beispielsweise Festigkeit, Duktilität (Eigenschaft eines Werkstoffs, sich plastisch zu verformen, bevor er bricht – d. Red.) aber auch elektrische Leitfähigkeit oder magnetischen Eigen­schaften. Somit führt die Fertigungs­technik durch eine Folge von Fertigungs­verfahren zum gewünschten Produkt mit zu den erwartenden Eigen­schaften hin.

Professor Dr.-Ing. Jean Pierre Bergmann der Fachrichtung Kunststofftechnik, TU Ilmenau

Professor Dr.-Ing. Jean Pierre Bergmann, TU Ilmenau

Der Weg dahin ist derzeit von der Erfahrung der Menschen, die das Produkt auslegen und die Fertigungs­schritte auswählen, sowie von der Leistungs­fähigkeit der eingesetzten Maschinen, die die Bearbeitung übernehmen, abhängig. Die Maschinen selbst werden von Menschen eingestellt und agieren in diesem Fall auch in Anlehnung an die Erfahrung der Bediener. Im Rahmen der Offensive Industrie 4.0 ist es gelungen, die Gewichtung und die Bedeutung der Datenakquise und Daten­verarbeitung für die Fertigungs­prozesse hervorzuheben und hier auch viele Aktivitäten anzustoßen.

Eine wesentliche Erkenntnis ist in meinen Augen die Konnektivität und die Besinnung auf die Darstellung einzelner Schritte als Knoten in einem Netzwerk vom Rohstoff zum Endbauteil hin. Das heißt, dass auch die Fertigung eines Bauteils ein Netzwerk darstellt und dass die Ereignisse in einem Schritt eine Folge auf die nachfolgenden Schritte haben. Die klassische Serien­fertigung stellt die einzelnen Schritte so ein, dass nur geringfügige Abweichungen erfolgen dürfen, um gerade die starre Verkettung nicht zu beeinflussen. (Abb. 1)

Darstellung der Serienfertigung vom Ausgangszustand bis zum Endprodukt bei Einhaltung aller definierten Kriterien mit schmalem Abweichungsband

Abbildung 1: Serienfertigung

Modell für die Kompensation von Abweichungen in der Serienfertigung von Jean Pierre Bergmann

Abbildung 2: Neue potenzielle Wege

Eine derartige starre Verkettung steht entgegen den häufig wiederkehrenden Heraus­forderungen, wie zum Beispiel kurze Reaktions­zeiten bei kleinen Losgrößen zu realisieren, die auch in weiten Ansätzen der Einsatz der additiven Fertigung rechtfertigen. Darüber hinaus wird der Bedarf an anderen Fertigungs­folgen, die jedoch zu den gleichen Funktionalitäten des Endproduktes führen, höher, denn die Resilienz der Thüringer Region kann hiermit gesteigert werden.

Starre Ketten infrage stellen

Die starren Ketten, die aktuell in der Produktion implementiert sind, werden in Frage gestellt. Denn beginnen die Knoten zu schwingen, dann können andere Tech­nologien, andere Werkstoffe eingesetzt und andere Herstellungswege eingegangen werden. Insbesondere die Kompensation oder die Korrektur­maßnahmen bei höheren Abweichungen in einem Knoten (das heißt in einem Bearbeitungs­schritt) können bestimmt und mittels geeigneter Modelle und Simulationen die Folge auf die Kette abgeschätzt werden. Der Ausschuss könnte so minimiert werden, die einzelne Technologien bei ihrem effizienten Betriebs­punkt eingesetzt werden. (Abb. 2)

Einzelne Technologien für die Serienfertigung werden häufig nach dem Ansatz „Hohe Bearbeitungs­geschwindigkeit zur Reduzierung der Taktzeit“ entwickelt. Aber erst ihre Betrachtung in der gesamten Kette kann zur Reduzierung der Emissionen führen, sodass es sich hier um eine multi­kriterielle Problemlösung handelt. Kriterien können Zeiten – im Sinne von möglichen Liefer­terminen – sein, oder die Kombination einzelner Schritte zur Erzielung von Effizienzmaxima in sich bildenden Technologie­ketten etc.

Viel interessanter wird der Blick auf die Bereitstellung der Energie zum Betrieb der Maschine für die einzelnen technologischen Schritte. Denn wird die Gesamt­bearbeitung so gestaltet, dass energieintensive Schritte in die Zeiträume gelegt werden, in denen der Strom aus regenerativen Energien eingesetzt werden kann, können dann die Potenziale zur Erreichung der Klima­neutralität vollständig ausgenutzt werden.

Mangelnde Automation oft Grund für Scheitern großer Digitali­sierungs­projekte

Schlussendlich wird die mangelnde Automation einzelner Prozessschritte durch geeignete Technologien häufig als Grund für das Scheitern größerer Digitalisierungs­projekte hervor­gehoben. Der Blick auf unsere produzierenden Unternehmen in Thüringen lässt eindeutig erkennen, dass Kompetenz und Erfahrung diese auszeichnen. Handfertigkeit und Erfahrung der Menschen in allen Stufen der Produktion prägen diesen Erfolg, auf den man stolz sein kann. Thüringer Unternehmen stellen nicht die verlängerte Werkbank dar, sondern sie setzen die Idee (auch anderer) zu einem fertigbaren Produkt um!

Das Szenario fordert die Fertigungs­technik und die Anlagen- und Maschinen­bauer auf, dynamische Adaption in den Fertigungs­prozessen einzuführen, die auch den Menschen unterstützen sollen, Entscheidungen auf Basis quantifizierbarer Daten und Prognosen zu treffen. Die Zusammenarbeit von Mensch und Maschine wird hier auf eine völlig andere Ebene gestellt und orientiert sich in Richtung Kooperation zwischen Team und Maschine, mit einer deutlich höheren Interaktion und Kommunikation auf unterschiedlichen Kanälen. (jpb)

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