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„Wir müssen in jeder Hinsicht unternehmerisch denken“

Forschungs- und Technologieverbund Thüringen e.V. (FTVT)

​Thüringen verfügt über ein dichtes Netz an gemeinnützigen wirtschaftsnahen Forschungseinrichtungen. Sie haben sich im Forschungs- und Technologieverbund Thüringen e.V. (FTVT) organisiert. Die zehn Mitgliedsinstitute decken viele wichtige Technologiefelder der Thüringer Wirtschaft ab. Benjamin Redlingshöfer ist Vorstandsvorsitzender des FTVT. Im Interview mit dem WIRTSCHAFTSSPIEGEL erläutert er die Besonderheiten der wirtschaftsnahen Forschungslandschaft im Freistaat, spricht über das Verhältnis der Institute zu den Universitäten und Hochschulen und zeigt auf, wie Thüringer Start-ups vom Netzwerk der Forschungseinrichtungen und dem von ihm organisierten Wettbewerb „get started 2gether“ profitieren.

Benjamin Redlingshöfer, Vorstandsvorsitzender FTVT | Foto: ©FTVT/Steffen Beikirch

Benjamin Redlingshöfer, Vorstandsvorsitzender FTVT | Foto: ©FTVT/Steffen Beikirch

Herr Redlingshöfer, warum ist wirtschaftsnahe Forschung gerade in Thüringen so wichtig?

Die Thüringer Wirtschaft wird vor allem durch kleine und mittlere Unternehmen dominiert, die oft keine eigenen Forschungskapazitäten vorhalten können. Hier agieren wir als Forschungspartner und -dienstleister mit dem Ziel, gemeinsam mit den KMU-Innovationen zu realisieren, die einen wirtschaftlichen Mehrwert schaffen und ihnen so zu Wettbewerbsvorteilen verhelfen. Dabei ist es für uns selbstverständlich, unsere Partner bei Bedarf auch aktiv mit Musterproduktion, Prozess-Engineering oder Inbetriebnahmen bis hin zu Joint Ventures zu unterstützen.

Wenn Sie über die Landesgrenzen hinausblicken: Wie ist Thüringen in der wirtschaftsnahen Forschung im Bundesvergleich aufgestellt?

Unter dem Dach des FTVT finden sich inzwischen zehn gemeinnützige wirtschaftsnahe Forschungseinrichtungen. Deren fast 1.000 Beschäftigte er wirtschaften einen Jahresumsatz von nahezu 100 Millionen Euro. Das Al leinstellungsmerkmal der wirtschaftsnahen Forschung vor allem in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt ist die nicht vorhandene Grundfinanzierung. In der Praxis heißt das, wir müssen in jeder Hinsicht unternehmerisch denken, an den richtigen Themen forschen und dabei für unsere Partner und Auftraggeber verwertbare Ergebnisse mit Marktrelevanz er zielen. Wie erfolgreich wir mit diesem Modell sind, zeigt sich an unseren wirtschaftlichen Transferaktivitäten, die ein Spitzenniveau in der angewandten Forschung belegen.

Nötige Vorgaben

Was Industrie und wir jedoch dringend benötigen, sind verlässliche wirtschafts- und förderpolitische Rahmenbedingungen. Gerade im Hinblick auf die Bundesprogramme war dies in den letzten Jahren leider nicht gegeben.

Neben den Instituten in Ihrem Verbund gibt es in Thüringen auch die Universitäten und Hochschulen sowie die namhaften bundesweit tätigen Institute und Forschungsgemeinschaften. Wie ist Ihr Verhältnis zu denen? Gibt es da Rivalitäten?

Nur gemeinsam sind wir stark – so bündeln wir unsere Aktivitäten auf Bundesebene in der Zuse-Gemeinschaft, wo aktuell über 80 wirtschaftsnahe Institute vereint sind. Zudem pflegen wir einen sehr intensiven Austausch mit anderen Landesforschungsvereinigungen, wie der Johannes-Rau-Forschungsgemeinschaft (JRF) in Nordrhein-Westfalen, der Innovationsallianz Baden-Württemberg (innBW) oder der Sächsischen Industrieforschungsgemeinschaft (SIG).

Der Fokusbereich

Man kann nicht in allen Forschungsbereichen wie auch auf allen Stufen der Technologiereifegrade gleichzeitig spitze sein: Unser Fokus liegt auf der wirtschaftsnahen transferorientierten Forschung, das heißt, dass wir in der Grundlagenforschung auf die exzellenten Ressourcen der Thüringer Universitäten und Hochschulen wie auch bundesweit und international zurückgreifen. Erst so entsteht Zusammenarbeit auf der gesamte Forschungswertschöpfungskette – von der Grundlagenforschung bis zum Transfer in die Industrie. Und ein bisschen Wettbewerb belebt ja bekanntlich das Geschäft und schafft wertvolle Impulse für zukünftige Innovationen.

Der FTVT ist federführend bei der Ausrichtung des Wettbewerbs „get started 2gether“. Welche Idee verfolgen Sie damit?

Start-ups müssen mit ihrer Geschäftsidee schnell vorankommen und dabei äußerst kostenbewusst agieren. Genau hier setzt der 2019 ins Leben gerufene Thüringer Technologiewettbewerb „get started 2gether“ an. Wir bieten innovativen Gründungsvorhaben damit eine attraktive Förderquote von 80 Prozent.

Modus des Wettbewerbs

Fast noch entscheidender ist aber das schlanke Programmformat. Von der Bewerbung bis zum Projektstart vergehen oft nur 8 bis 12 Wochen. Dann können die Start-ups für sechs bis zwölf Monate auf die gesamte Infrastruktur eines thematisch passenden Forschungsinstituts sowie auf ein breites Netzwerk in Industrie, Verbänden und Politik zurückgreifen. So treiben sie ihre Produktidee ein entscheidendes Stück in Richtung Marktreife. Geboren wurde dieses erfolgreiche, inzwischen weit über die Landesgrenzen hinaus bekannte Projektformat „get started 2gether“ übrigens dank einer sehr konstruktiven Zusammenarbeit des FTVT mit dem Thüringer Wirtschaftsministerium und der Thüringer Aufbaubank.

Die erfolgreichen Start-ups der siebenten Runde des Thüringer Gründerwettbewerbs „get started 2gether“ im vorigen Jahr in Erfurt. Acht von 14 Gründerteams überzeugten die Jury.  | Foto: ©FTVT/Steffen Beikirch

Die erfolgreichen Start-ups der siebenten Runde des Thüringer Gründerwettbewerbs „get started 2gether“ im vorigen Jahr in Erfurt. Acht von 14 Gründerteams überzeugten die Jury.​ | Foto: ©FTVT/Steffen Beikirch

Welche Voraussetzungen muss ein Start-up mitbringen, um bei „get started 2gether“ erfolgreich zu sein? Welche Technologiefelder haben Sie besonders im Fokus?

Wir sprechen junge, technologieorientierte Thüringer Start-ups an. Oder solche, die sich in Thüringen niederlassen möchten. Dabei sollte die Firmengründung nicht länger als fünf Jahre zurückliegen.

Voraussetzungen

Beim Technologiereifegrad des angestrebten Produkts oder Verfahrens sollte Stufe 3 oder höher erreicht sein. Bezüglich der Technologien steht die ganze Bandbreite unserer Institute zur Verfügung – von der Halbleitertechnologie über die Wasserstoff- bis hin zur Kunststoff-Forschung. Und sollte mal eine Technologie nicht in unserem Portfolio liegen, vermitteln wir gerne Kontakte zur hervorragend aufgestellten Start-up Community in Thüringen.

Wie geht es nach einem erfolgreichen Pitch für die Start-ups weiter?

Bei einem positiven Votum der Wettbewerbsjury gibt es noch am gleichen Tag einen Letter of Intent vom jeweiligen Forschungsinstitut – und damit die Eintrittskarte für den formalen Förderantrag bei der Thüringer Aufbaubank. Ist dieser eingereicht, kommt in der Regel innerhalb von vier Wochen schon der Bewilligungsbescheid. Und dann kann’s losgehen!

Ebenfalls erwähnenswert ist der unkomplizierte und zügige Mittelabruf bei der TAB. Das schont die oft sowie so schon angespannte Liquidität bei den Start-ups.

Um wirklich am Markt erfolgreich zu sein, brauchen junge Unternehmen Kapitalgeber. Kann eine erfolgreiche Teilnahme an „get started 2gether“ als Türöffner hilfreich sein?

Das konnten wir inzwischen mehrfach unter Beweis stellen. Sowohl der Wettbewerb als auch die folgende Zusammenarbeit mit den Instituten bieten eine gute Bühne, um sein Netzwerk zu erweitern und potenzielle Investoren auf sich aufmerksam zu machen. Nebenbei erhöht sich bei erfolgreicher Kooperation auch der Unternehmenswert, was den Start-ups eine gute Ausgangsposition für folgende Verhandlungen mit potenziellen Geldgebern verschafft. Es kam schon öfter vor, dass dann bei mir das Telefon klingelte und renommierte VC-Geber aus Singapur oder den USA am anderen Ende der Leitung waren.

Ein voller Erfolg

Für diese wirkt „get started 2gether“ wie eine Evaluierung und reduziert deren Investrisiko, was für die Start-ups wiederum in einer höheren Bewertung resultiert. Selbstverständlich immer in Abstimmung mit den jeweiligen Start-ups.

Nach inzwischen sieben erfolgreichen Wettbewerben zeigt sich auch, dass die Anschlussfinanzierungen, die ein gesetzten Thüringer Fördermittel um ein Zigfaches übersteigen – investiert in Thüringen!

Mit dem mehrfach preisgekrönten Start-up Polytives konnte das TITK Rudolstadt bereits zwei erfolgreiche Projekte über „get started 2gether“ realisieren. Von links: Andreas Eisenhut, Laborleiter bei Polytives, OIiver Eckardt, Gründer und Geschäftsführer von Polytives, Benjamin Redlingshöfer, geschäftsführender Direktor des TITK und Vorsitzender des FTVT, sowie Dr. Michael Gladitz, Projektleiter am TITK  | Foto: ©FTVT/Steffen Beikirch

Mit dem mehrfach preisgekrönten Start-up Polytives konnte das TITK Rudolstadt bereits zwei erfolgreiche Projekte über „get started 2gether“ realisieren. Von links: Andreas Eisenhut, Laborleiter bei Polytives, OIiver Eckardt, Gründer und Geschäftsführer von Polytives, Benjamin Redlingshöfer, geschäftsführender Direktor des TITK und Vorsitzender des FTVT, sowie Dr. Michael Gladitz, Projektleiter am TITK ​| Foto: ©FTVT/Steffen Beikirch

Letzte Frage. Wenn Sie eine Bilanz der zurückliegenden Wettbewerbe ziehen: Welche Projekte haben sich als besonders erfolgreich erwiesen?

Wir sehen quer durch die Bank ein äußerst hohes Niveau der technologieorientierten Gründungen in Thüringen. Das macht Mut und Hoffnung für die erfolgreiche Gestaltung des technologischen Wandels mit vielen Impulsen aus Thüringen heraus. Seit der ersten Wettbewerbsrunde 2019 konnten bereits 52 Start-ups mit einer Fördersumme von insgesamt vier Millionen Euro bedacht werden – bei über einer Million eingebrachtem Eigenkapital der Gründer.

Ein Beispiel für die exzellente Zusammenarbeit ist die Polytives GmbH, Spezialist für polymere Additive zur Fließverbesserung von Kunststoffen – und damit eines wichtigen Bausteins zur Einsparung von Prozessenergie oder auch für den erfolgreichen Einsatz von Rezyklaten. Dieses inzwischen mehrfach ausgezeichnete Unternehmen durften wir von einer he rausragenden Idee im Labor an der FSU Jena bis zur Gründung eines eigenen Produktionsstandortes in Rudolstadt-Schwarza begleiten. Aber auch Start-ups wie Healyan mit einer innovativen Lichttherapie-Brille, Revincus mit der Restwärmenutzung aus privatem und gewerblichem Abwasser, IDloop mit einem kontakt losen 3D-Fingerabdruckscanner oder FluiDect mit einem Biosensor für industrielle Prozessüberwachung bergen neben vielen weiteren ein enormes Potenzial für Thüringen.

Interview: Torsten Laudien

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