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Mit starken Partnern die Herausforderungen bewältigen

Im Interview: Andreas Krey, Sprecher der Geschäftsführung LEG Thüringen

Es ist ein Bild mit Licht und Schatten, das sich derzeit in Sachen Thüringer Wirtschaft zeigt. Einerseits liest man von Insolvenzen und Betriebsschließungen gerade in der Automobil-Zulieferindustrie, andererseits vermelden Unternehmen aber auch große Erfolge am Markt und Investitionen in Millionenhöhe. Kaum jemand im Land hat die Hand näher am Puls der Wirtschaft als Andreas Krey, Sprecher der Geschäftsführung der Landesentwicklungsgesellschaft (LEG) Thüringen mbH. Im Interview mit dem WIRTSCHAFTSSPIEGEL gibt er seine Einschätzung der Lage und spricht darüber, was richtig gut läuft und wo es dringenden Handlungsbedarf gibt.

Andreas Krey beim 2. Thüringer ChampionsMEET  in Jena. | Fotos: LEG/Paul-Philipp Braun

Herr Krey, Ihr Haus ist unter anderem für Investorenbetreuung und -beratung zuständig. Sie sind also sehr dicht dran am Puls der Wirtschaft. Deshalb mal direkt gefragt: Die Stimmung in der Thüringer Wirtschaft scheint so schlecht wie selten zuvor. Spiegelt das die tatsächliche Lage wider?

Ich teile Ihre Einschätzung, momentan gibt es große Herausforderungen und Probleme, und das schlägt sich auch in der Stimmung nieder. Wobei wir allerdings auch Rückmeldungen bekommen, die positiv sind beziehungsweise hoffen lassen. Beispielsweise gibt es weiterhin Auftrieb in Branchen wie Maschinenbau, Recycling und Batterietechnologie. Im Spiegel unserer Arbeit sehen wir selbst durchaus auch Positives.

Woran machen Sie Ihre Einschätzung fest?

Unsere Projektliste mit geplanten Erweiterungen und Neuinvestitionen von heimischen beziehungsweise externen Unternehmen ist gefüllt, und die Nachfrage nach neuen Industrie- und Gewerbeflächen besteht weiterhin.

Außerdem zeigt die Statistik positive Tendenzen: Laut Angaben des Thüringer Landesamtes für Statistik lag der Umsatz der Thüringer Industrie mit 50 und mehr Beschäftigten von Januar bis Juni 2024 bei 18,3 Milliarden Euro. Das ist preisbereinigt ein leichter Rückgang von lediglich 0,8 Prozent. Dem gegenüber steht jedoch ein Wachstum in ausgewählten Industriesektoren wie beispielsweise dem Maschinenbau mit 3,3 Prozent; auch die Automobilindustrie und die Papierindustrie verzeichnen leichtes Wachstum. Das sind zwar keine berauschenden Zahlen, aber sie sprechen doch angesichts der gewaltigen Transformationsaufgaben für die Leistungsfähigkeit unserer Unternehmen.

Die LEG hebt seit einiger Zeit Unternehmen in den Blickpunkt, die in ihrer jeweiligen Branche als „Hidden Champions“ gelten. Welche Kriterien werden für diese Einstufung angelegt?

Wir unterscheiden zwischen Champions und Future Champions. Die Champions müssen zu den „Top 3“ im relevanten Marktsegment weltweit zählen oder „Top 1“ in Europa sein. Ihr Umsatz muss mehr als 10 Millionen Euro betragen, ihre Exportquote größer sein als 50 Prozent. Voraussetzungen sind zudem ein mehrsprachiger Internetauftritt und die Tätigkeit auf mindestens zwei Kontinenten. Bei den Future Champions, jüngeren und kleineren Playern, denen buchstäblich die Zukunft gehört, gibt es bezüglich Umsatz und Exportquote quasi keine Mindestgrößen, und bei ihnen genügt eine „Top 3“-Platzierung in ihrem Marktsegment.

Blicken wir einmal auf die Liste der Hidden Champions. Sagt die etwas darüber aus, was Thüringen besonders gut kann?

Wir haben momentan 94 Hidden Champions, davon 58 Champions und 36 Future Champions – das sind beeindruckende Zahlen. Zudem sind diese Leistungsträger in verschiedenen Branchen und Industriesektoren tätig – Vielfalt in der Unternehmenslandschaft ist eine unserer Stärken. Dabei gibt es natürlich Schwerpunkte – besonders stark vertreten sind die Optik/Photonik/Elektrotechnik sowie auch der Maschinen-, Anlagen- und Werkzeugbau.

Alles in allem zeigt dies, dass Thüringen für unternehmerische Spitzenleistungen steht. Und es sind oft kleinere Unternehmen, die dazu beitragen. Nehmen wir als Beispiel die Somag AG Jena: Das ist ein Mittelständler, der Stabilisierungsplattformen für Luftbildkameras herstellt, mit denen auch von schnellen Flugzeugen oder Booten aus Geodaten detailliert erfasst werden können – beispielsweise für Google Maps. Das Unternehmen hat aktuell ein neues Produkt auf den Markt gebracht, wird diesen Herbst auf zahlreichen Messen vertreten sein und bewältigt gerade den Umzug in ein neues Gebäude. Solche Kompetenz und Engagement macht Thüringen aus – und wir haben im Übrigen eine ganze Reihe weiterer Bewerber für unsere Hidden-Champions-Liste in Prüfung.

Anlässlich des ChampionsMEETs wurden sechs neue Hidden Champions, also Weltmarktführer, aus Thüringen ausgezeichnet.

Unabhängig von der Liste: Was kann Thüringen Ihrer Einschätzung nach besonders gut?

Allgemein gesagt: Durch die beschriebene mittelständisch geprägte und breit aufgestellte Wirtschaftsstruktur kann die Thüringer Wirtschaft auf alle äußeren Einflüsse, auch auf Krisen, flexibel reagieren. Wir haben eben keine starke Spezialisierung auf eine Hauptbranche, unser gesunder Branchenmix schützt vor starken Einbrüchen. Schauen wir nun auf einzelne Bereiche, so lassen sich viele Kompetenzen erkennen, die ich hier nur beispielhaft benennen kann, aber die Beispiele zeigen, worauf es ankommt.

Fokussieren wir auf Branchen und Technologiezweige, so verfügt Thüringen etwa über besondere Expertise in der optischen sowie der Laserindustrie und in der Medizintechnik – das wird auch international so wahrgenommen – zum Beispiel, als wir im Frühjahr auf einer Delegationsreise in Japan waren und dort auf Augenhöhe mit japanischen Vertretern dieser Branchen und Felder im Austausch waren. Wir haben zudem starke Institutionen und greifen gezielt auf Förderstrukturen zurück. So unterstützt unsere bm|t innovative Start-up-Unternehmen, ich denke da aktuell an die Tediro GmbH in Ilmenau, die mobile Robotik-Plattformen für Therapie und Diagnostik in medizinischen Einrichtungen entwickelt, oder an die AI-UI GmbH mit ihren KI-Lösungen für viele Business-Anwendungen.

In puncto Förderung sind wir aktiv bei der Teilnahme an Forschungsvorhaben und Kooperationsprojekten, ich nenne hier nur das Programm „WIR! – Bündnisse (Wandel durch Innovation in der Region)“ mit einem Volumen von 100 Millionen Euro und die RUBIN-Projekte (Regionale unternehmerische Bündnisse für Innovation) mit einem Umfang von rund 80 Millionen Euro. Ein weiteres Beispiel, diesmal aus dem Bereich Halbleiter/Quantentechnologie, ist das Innovationszentrum für Quantenoptik und Sensorik InQuoSens (FSU Jena / TU Ilmenau), das kürzlich eine zusätzliche Förderung in Höhe von 6,26 Millionen Euro zur weiteren Entwicklung von Zukunftstechnologien an der Schnittstelle von Photonik und Sensorik erhielt.

Um es auf den Punkt zu bringen: Eine flexible, kleinteilige Struktur mit vielen hochinnovativen Unternehmen sowie eine gute Unterstützungs- und Förderinfrastruktur machen uns stark. Jüngste Nachricht, die das untermauert: Wir liegen aktuell bei den Patentanmeldungen pro Kopf im ostdeutschen Vergleich zum wiederholten Male auf Platz 1.

Auch Rudi Völler war eingeladen. Die Veranstaltung fand in der Jenaer ad hoc Arena, am Rande eines Probetrainings der deutschen Fußball-Nationalmannschaft vor der EM statt.

Dann folgt die Gegenfrage: Wo haben wir den meisten Nachholbedarf?

Keinen Nachholbedarf, aber weiteren dringenden Handlungsbedarf: Um auch in Zukunft wettbewerbsfähig für interessante Unternehmensansiedlungen zu bleiben, müssen wir die Räume dafür schaffen. Wir sind da schon lange aktiv im Rahmen der mit dem Wirtschaftsministerium gemeinsam betriebenen Großflächeninitiative, und diese müssen wir weiter vorantreiben. Und dann benötigen wir natürlich einen Abbau von Bürokratie. Ich nenne hier exemplarisch die Zeiträume und Verfahren für die Genehmigung von Bebauungsplänen – hier müssen wir schneller werden.

Was ist nach Ihrer Einschätzung die richtige Strategie für die Zukunft: die Stärken zu stärken oder die Schwächen beheben?

Natürlich beides!

Letzte Frage: Was halten Sie ganz persönlich für die größten Herausforderungen, vor denen Thüringen in den nächsten Jahren steht?

Da ist die demografische Entwicklung zu nennen – wir brauchen Lösungen, um den großen Fachkräftebedarf der Thüringer Wirtschaft in den kommenden Jahren decken zu können. Unsere Thüringer Agentur Für Fachkräftegewinnung (ThAFF) ist hier mit vielen Partnern im Einsatz. Und abschließend, wenn ich nochmals ein konkretes Branchenbeispiel nennen darf: Die Transformation der Autoindustrie mit dem Übergang zur E-Mobilität und zum autonomen Fahren ist eine Mammutaufgabe. Diese Branche bildet aufgrund ihrer Größe und Innovationskraft in Thüringen wie in Deutschland einen ganz wesentlichen „Motor“ für die weitere Entwicklung der gesamten Wirtschaft. Wir als LEG sind auf verschiedenen Ebenen im Rahmen der Wirtschaftsförderung tätig, und wir wirken mit im Automotive Netzwerk Transformation Thüringen (ANeTT). Wir haben hier starke Partner im Land, wir müssen bei der Bewältigung dieser Herausforderung gemeinsam Erfolg haben, und ich bin auch zuversichtlich, dass uns das gelingt.

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