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Aus der Tradition beziehen wir unsere Stärke

Im Interview: André Knapp, Oberbürgermeister der Stadt Suhl

Die Stadt Suhl gehört sicher zu den am meisten unterschätzten Wirtschaftsstandorten im Freistaat. Lange Zeit verband man eher Negativschlagzeilen mit der einstigen Bezirkshauptstadt südlich des Rennsteigs. Aber wenn man heute genauer hinschaut, erlebt man eine Stadt, die einen beeindruckenden Transformationsprozess bewältigt. Der Suhler Oberbürgermeister André Knapp beschreibt im Interview, wo heute die Suhler Stärken liegen und welche Probleme er auf seiner Agenda hat.
Wirtschaftsstandort Suhl
Foto: Henry Czauderna – stock.adobe.com

Herr Oberbürgermeister, warum muss man Suhl unbedingt im Fokus haben?

Hier kommt der Inhalt hin[/box] Suhl liegt wunderschön in den Bergen am Südrand des Thüringer Waldes und ist für Aktivitäten in der Natur einfach perfekt. Die Stadt zeichnet sich durch eine hohe Lebensqualität und Familienfreundlichkeit aus. Ganz entscheidend ist aber auch unsere zentrale Lage in der Mitte Deutschlands und die gute Anbindung an der A 71 und A 73 und die Strecke Würzburg-Erfurt, die eine Anbindung an das Fernstreckennetz der Deutschen Bahn (nach München 2,5 Stunden und nach Berlin in 3 Stunden) sicherstellt. Aus unserer Tradition der Eisen- und Metallverarbeitung bezieht Suhl noch heute wirtschaftliche Stärke. Unsere kleinen und mittelständischen Unternehmen und das Handwerk profitieren vom Erfahrungsschatz der Fachkräfte und diese geben ihr Wissen an neue Generationen weiter. Und wir können mit Recht sagen: Unsere kleinen und mittelständischen Unternehmen sind international konkurrenzfähig, marktführend und im Krisenfall hoch flexibel.

Suhl ist ja ein traditionsreicher Wirtschaftsstandort. Einst vom Bergbau geprägt, später dann durch die Waffen- und Zweiradproduktion. Was ist von dieser Tradition geblieben?

Natürlich ist Suhl, ich hatte eingangs darauf hingewiesen, ein traditionsreicher Standort der Metall- und Eisenverarbeitung auf Spitzenniveau. Im 16. und 17. Jahrhundert galt Suhl als Waffenkammer Europas; weltbekannte Firmen wie Sauer, Merkel und Haenel haben ihre Ursprünge in Suhl und sind teilweise noch mit der Stadt verbunden. Und natürlich kennt man in Deutschland, aber auch international die Marke Simson, die mit Modellen wie der Schwalbe heute Kultstatus hat. Die Umbrüche des letzten Jahrhunderts haben hier natürlich zu großen Veränderungen geführt – aber das Erbe ist noch immer zu spüren. Nicht nur in der Pflege des Vergangenen, sondern vor allem in den Unternehmen, die sich aus dieser Tradition heraus entwickelt haben. So stehen heute Unternehmen wie die Feinmess Suhl GmbH im Bereich der Mess- und Kalibrierungstechnik oder Profectus GmbH Electronic Solutions im Bereich Leiterplatten für die Fortführung der Präzisionstechnik in Suhl. Aber auch die Tradition der Büchsenmacher und Graveure leben wir weiter – so bilden wir an der Berufsschule für Büchsenmacher und Graveure weiterhin in unseren traditionellen Stärken aus. Das zieht junge Menschen aus ganz Deutschland und darüber hinaus nach Suhl.

Und heute: Wo liegen aktuell die Suhler Stärken im wirtschaftlichen Bereich?

Noch heute sind es Präzisionsunternehmen, vor allem im Bereich der Metallverarbeitung, die Suhl ausmachen. Die Masse dieser Unternehmen sind kleine und mittelständische Firmen, die Produkte entwickeln und herstellen, für die sehr gut ausgebildete Mitarbeitenden mit Spezialfähigkeiten notwendig sind. Kleine und mittelständische Unternehmen haben dabei den entscheidenden Vorteil, dass sie weniger krisenanfällig sind, weil sie schneller und flexibler reagieren können als Großunternehmen. Außerdem können sie sich auf sehr spezielle Produkte konzentrieren, die sie mit hoher Qualität und Präzision herstellen und mit denen sie international konkurrenzfähig sind – so gibt es einige Unternehmen in Suhl, die, wie beispielsweise die Firma Schaeffler Industrial Drives AG & Co.KG – führend im Bereich von High-Performance Positionierungssystemen, in ihren Bereichen sogar Weltmarktführer sind.

Oberbürgermeister André Knapp

Suhls Oberbürgermeister André Knapp | Foto: Stadtverwaltung Suhl

Auch die Stadt Suhl steckt in einem Transformationsprozess. Vor Jahren galt sie als diejenige mit dem höchsten Abwanderungsgrad bundesweit. Wie gehen Sie damit um – zum Beispiel mit leerstehendem Wohnraum?

Ja, das stimmt leider. Suhl war während der deutschen Teilung die kleinste Bezirksstadt der DDR. 1950 hatte Suhl rund 25.000 Einwohner, was für die Lage und Wirtschaftsstruktur in der Region durchaus eine gewisse natürliche Größe war. Durch die Rolle als Bezirksstadt und verschiedene Großbetriebe blähte sich Suhl auf rund 56.500 Einwohner auf. Seit 1989/1990 befindet sich Suhl in einem Prozess, den man durchaus als gesund-schrumpfen bezeichnen kann. Ich denke, dass sich die Einwohnerzahl um die 35.000 Einwohnern einpendeln wird. Natürlich hat das die Stadt aber auch verändert und führt zu Problemen, weil wir eine Infrastruktur haben, die für 60.000 Menschen ausgelegt ist. Oder Suhl-Nord, ein Stadtteil, der komplett als Trabantenstadt in Plattenbauweise entstanden ist. Diesen haben wir inzwischen nahezu vollständig zurückgebaut. Aber wir begreifen das auch als eine Chance zur nachhaltigen Transformation – in Suhl-Nord gibt es schon spannende Pläne, wie das Areal zukünftig genutzt und die Wirtschaft vor Ort gestärkt werden kann. Darauf können wir, denke ich, generell bauen: Wo eine starke Wirtschaft ist, Wohnraum bezahlbar aber in einer guten Qualität vorhanden ist und vor allem auch Faktoren wie Kinderbetreuung, Freizeitaktivitäten und Angebote für Familien stimmen, dort werden Menschen langfristig auch wohnen wollen. In Suhl und der Region denke ich, dass wir in allen Bereichen sehr gut liegen.

Alt und neu liegen in Suhl eng beieinander. | Foto: A.Savin, WikiCommons

Die Region südlich des Rennsteigs zeichnet sich vor allem durch Kleinteiligkeit aus. Lange Zeit schien es so, als wolle jede Kommune ihr eigenes Süppchen kochen. Seit fünf Jahren gibt es jedoch eine kommunale Arbeitsgemeinschaft (KAG), in der Suhl mit Zella-Mehlis, Oberhof und Schleusingen zusammenarbeitet. Ist eine solche KAG schon das höchste der Gefühle oder geht da noch mehr? Stichwort Städtefusion oder Eingliederung in den Landkreis Schmalkalden-Meiningen.

Die Zusammenarbeit in der KAG ist für uns als Stadt ein riesiger Gewinn – gemeinsam schauen wir, dass wir über die Grenzen der eigenen Stadt und den eigenen Kirchturm hinweg schauen. Die Aufnahme in den Entwurf des Landesentwicklungsplanes als funktionsteiliges Oberzentrum war ein wichtiger Erfolg. Ein funktionsteiliges Oberzentrum aus vier eigenständigen Städten ist ein deutschlandweit einmaliges Projekt und die Zusammenarbeit auf Augenhöhe läuft sehr gut – natürlich soll das Oberzentrum auch helfen, die ganze Region zu stärken. Für mich ist eines aber klar: Es geht hier nicht um Städtefusion, sondern um ein gemeinsames Arbeiten, um Stärken zu bündeln. Das ist ja gerade der neue Ansatz – Stärken bündeln und ein gemeinsames Ziel verfolgen, ohne die Eigenständigkeit zu verlieren. Die Kreisdiskussionen haben wir nun auch schon sehr oft geführt und geprüft. Fakt ist: Unter den aktuellen Voraussetzungen ist eine Einkreisung der Stadt Suhl keine sinnvolle Option.

Erst unlängst haben Sie mit Ihren Amtskollegen über die nächsten Jahre gesprochen. Wie wollen Sie die Region als Wirtschaftsstandort stärken? Was steht auf der Agenda?

Wir werden uns gemeinsam auf verschiedene Projekte konzentrieren. Aktuell sind wir dabei, die Konzeptphase abzuschließen, in der unter anderem Radweg- und Gewerbeflächenkonzepte erarbeitet wurden. In den nächsten Jahren bis 2025 geht es nun darum, aus den Konzepten die ersten Schlüsse zu ziehen – mit dem Ziel einen Planungsverband zu gründen, um noch besser gemeinsam agieren zu können und von den Stärken der jeweils anderen zu profitieren. Ich möchte zum Oberzentrum allerdings auch nicht zu viel sagen, weil wir als Kollegen Bürgermeister besprochen haben, dass immer einer von uns für alle spricht. Seit dem 1. Juli 2023 hat Richard Rossel, Bürgermeister von Zella-Mehlis, turnusgemäß diese Aufgabe übernommen.

Und speziell in Suhl? Wie sieht Ihre Wirtschaftspolitik der kommenden Jahre aus?

Neben den gemeinsamen Aktivitäten im zukünftigen Oberzentrum, das für die wirtschaftliche Entwicklung ganz wesentliche Impulse setzen wird, haben wir natürlich auch selbst Punkte, die wir jetzt schon angestoßen haben. Das wichtigste Projekt darunter ist zweifelsohne die Nachnutzung des Standortes Suhl-Nord. Hier versuchen wir gerade durch gezielte Förderung und die Einwerbung von Fördermitteln und einem Nutzungskonzept, auf diesem gut erschlossenen Areal ein CO2-neutrales Gewerbegebiet zu entwickeln. Das Thema, das uns aber am meisten beschäftigen wird, ist die Gewinnung von Fachkräften und wie wir gut ausgebildete junge Menschen hier in der Region halten können. Da geht es uns wie allen Städten der Region. Hier darf es auch kein Kirchturmdenken geben und das gibt es auch nicht. Gemeinsam mit den anderen Landkreisen südlich des Rennsteiges arbeiten wir eng zusammen, so zum Beispiel im Projekt „Karriereheimat“. Im Wettbewerb mit anderen Regionen müssen wir hier einfach schauen, wie wir die Attraktivität für junge Menschen und Familien noch steigern können und wie wir Fachkräfte gezielt ansprechen, auch international. Hier gibt es schon ein paar gute Initiativen, die wir mit regionalen Partnern vorantreiben.

Interview: Torsten Laudien

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