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„Unternehmen brauchen verlässliche Rahmenbedingungen“

Thüringens Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee im Interview

Alle Jahre wieder gehen Politiker auf Sommertour. Da macht auch Thüringens Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee keine Ausnahme. Was steckt hinter diesem Ritual? Welche Impulse konnte der Minister aufnehmen, welche Botschaften den Unternehmen mitgeben? Im WIRTSCHAFTSSPIEGEL-Interview zieht Tiefensee Bilanz seiner diesjährigen Sommertour.

Wolfgang Tiefensee: „Unternehmen brauchen verlässliche Rahmenbedingungen“

Foto: Paul-Philipp Braun

Herr Minister, Sie haben gerade Ihre Sommertour absolviert, ebenso wie Ihr Staatssekretär Carsten Feller. In beiden Fällen ging es um Zukunftsthemen. Ich nehme an, dass Sie sich schon mal zu Ihren Eindrücken ausgetauscht haben. Wie fällt Ihr Fazit aus?

Energiepreise, Fachkräftemangel, globale Lieferprobleme und die Transformation zur Klimaneutralität waren die beherrschenden Themen in den Unternehmen. Es gibt enormen Investitionsbedarf und viel Unsicherheit. Aber die Betriebe haben sich diesen Herausforderungen längst gestellt, arbeiten an neuen Lösungen, organisieren beispielsweise ihre eigene CO2- neutrale Energieversorgung. Es ist bemerkenswert, wie viel Kreativität und Zukunftswille hier sichtbar werden. Mir wurde immer wieder auf den Weg gegeben, auf Bundesebene für mehr Planungssicherheit zu sorgen. Neue Belastungen, Vorgaben und Regulierungen – noch dazu oft über die europäischen Standards hinaus – müssen unterbleiben, weil sie die Wettbewerbsfähigkeit zusätzlich beeinträchtigen. Ich teile und unterstütze die klare Forderung an Bund und Land nach einer Atempause. Wir sollten uns jetzt auf Transformation und Klimaschutz konzentrieren, anderes muss aufs Minimum reduziert werden oder besser zunächst zurückstehen.

Nehmen wir einmal an, Sie hätten einen Schulaufsatz zu schreiben, Thema: mein schönstes Ferienerlebnis. Also im übertragenen Sinn: Was würden Sie als prägendstes Erlebnis Ihrer Sommertour beschreiben?

Das ist jetzt vielleicht nicht ganz neu, aber die Erfahrung, wie viele „Hidden Champions“ wir in Thüringen haben, wie viele Firmen es in Handwerk und Industrie gibt, die sich mit klugen Ideen und innovativen Produkten in Thüringen und auf umkämpften Märkten behaupten, das fasziniert mich jedes Mal wieder. Und das ist auch bei meiner Sommertour wieder so gewesen. Ich denke da zum Beispiel an Firmen wie Adtran in Meiningen, Feintool in Jena, CBV Blechbearbeitung in Laasdorf oder Prinz Thermotechnik in Waltershausen, um nur einige Beispiele zu nennen.

Es drängt sich die Frage auf, weshalb solche Sommertouren überhaupt durchgeführt werden. Sie sind ja auch sonst oft in Thüringer Unternehmen unterwegs. Wo liegt der Erkenntnisgewinn?

Sie haben Recht, ich bin tatsächlich das ganze Jahr über auf Tour. So gesehen geht es bei einer Sommertour darum, in besonderer Weise und konzentriert auf Themen und Firmen aufmerksam zu machen. Der Vorteil ist, dass das übergreifende Motiv schon im Vorfeld feststeht und die Betriebe entsprechend ausgesucht werden. Mir ist wichtig, fortlaufend ein direktes und unverstelltes Bild der Wirklichkeit zu bekommen und ansprechbar zu sein. Deshalb lege ich großen Wert darauf, regelmäßig mit Geschäftsführern, aber selbstverständlich auch mit Betriebsräten im Austausch zu sein. Glauben Sie mir, die Erfahrungen und Erkenntnisse fließen direkt in die Arbeit meines Ministeriums ein. Ich lerne immer wieder dazu, um zukünftig Verfahren zu entbürokratisieren, Förderrichtlinien anzupassen oder um Hilfestellung für ein konkretes Unternehmen geben zu können.

Wie haben wir uns das eigentlich vorzustellen: Nach welchen Kriterien werden die Besuchsstationen einer solchen Sommertour ausgewählt? Wie repräsentativ kann das dadurch entstandene Bild für einen Minister überhaupt sein?

In diesem Jahr waren verschiedene Kammern in die Vorbereitung der Tour eingebunden, die Auswahl der Firmen ist dort erfolgt, unter anderem nach einem Kriterium wie Unternehmensgröße. Das war sehr hilfreich, für die Unterstützung auch an dieser Stelle nochmal herzlichen Dank. Es war mir genauso wichtig zu hören, was der Handwerker mit einem Angestellten zu sagen hat wie das Großunternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten. Es geht dabei nicht in erster Linie um Repräsentativität – ein festes Gesamtbild baut sich ohnehin erst über viele Besuche und Vor-Ort-Termine im Laufe von Wochen und Monaten auf. Vielmehr geht es darum, aus erster Hand zu erfahren, wo den Unternehmen der Schuh drückt, besser noch, wie deren Lösungsansätze exemplarisch für andere sein können.

Wenn man die Medien betrachtet, dann wird dort überwiegend ein düsteres Bild der deutschen Wirtschaft gezeichnet. Welche Probleme sind von den Unternehmen an Sie herangetragen worden?

Ich halte nichts von einer Untergangsstimmung, aber ja, die Lage ist extrem angespannt. Energiepreise, Inflation, schwindende Kaufkraft, Fachkräftemangel, Transformation sind die beherrschenden Themen. Aber auch die überbordende Bürokratie wurde immer wieder beklagt. Oft höre ich die bange Frage: Wie kann die Transformation in Deutschland gelingen, ohne die industrielle Basis des Standorts und seine Wettbewerbsfähigkeit zu beschädigen? Mein Appell an die Bundesebene: Unternehmen brauchen verlässliche Rahmenbedingungen, niedrigere Netzentgelte und verlässliche, kostengünstige Energieversorgung mit grüner Energie. Gute Rahmenbedingungen sind besser als Förderprogramme, die Unternehmen wollen nicht auf Geldgeschenke angewiesen sein, sondern eine verlässliche Perspektive haben. Dennoch, wir brauchen auch weiterhin Förderinstrumente, die den Unternehmen helfen, die enormen Kosten der Dekarbonisierung zu stemmen. Dazu zählt für mich ein Industrie- oder Brückenstrompreis, der aber nur dann eingeführt werden darf, wenn der Mittelstand gleichzeitig entlastet wird. Nötig sind gezielte Förderinstrumente auf Bundesebene, die die Unternehmen dabei unterstützen, in erneuerbare Energien und effizientere Verfahren und Produkte zu investieren. Allein in Thüringen sind dafür bis 2045 nach Hochrechnungen unserer Dekarbonisierungsstudie jährlich bis zu 380 Millionen Euro erforderlich. Das ist eine gewaltige Herausforderung. Wir bieten in Thüringen neben günstigen Krediten Förderung über die Gemeinschaftsaufgabe GRW, über das Programm InnoInvest oder über den Dekarbonisierungsbonus.

Welche Botschaft konnten Sie den Unternehmen mitgeben?

Wir stehen an der Seite der Unternehmen. Beim Jahresempfang der IHK Ostthüringen hat der sonst sehr kritische Präsident Dr. Ralf-Uwe Bauer das Vorgehen des Landes und speziell des Wirtschaftsministeriums in höchsten Tönen gelobt, ungewöhnlich, aber wohltuend. Das Land macht seine Hausaufgaben. Wir haben aus dem Sondervermögen des Landes ein Hilfspaket für die Wirtschaft im Umfang von 230 Millionen Euro geschnürt. Darin sind Krisenhilfen enthalten, aber auch Mittel für Zukunftsinvestitionen. Wenn die Nachfrage nach Krisenhilfe so verhalten bleibt wie im Moment, werden wir zusätzliche Mittel in die langfristigen Investitionsprogramme umschichten können. Wir planen, das Eigenkapital der Thüringer Aufbaubank um 50 Millionen Euro zu erhöhen, um zusätzliche Darlehensprogramme für Energie- und Klimaschutzinvestitionen zu hebeln. Und wir haben den Dekarbonisierungsbonus von 15.000 auf 100.000 Euro Zuschuss pro Projekt erhöht. Das sollte helfen, noch mehr Investitionen in Gang zu setzen.

Was nehmen Sie für Ihre politische Arbeit der nächsten Monate mit? Haben wir neue Initiativen von Ihnen zu erwarten?

Ein paar Beispiele: Wir bereiten neue Calls für Forschungs- und Entwicklungsprojekte vor, wir bekommen Schub in den Breitbandausbau, die Erarbeitung der neuen Tourismusstrategie beginnt, wir arbeiten an Förderrichtlinien für die Dekarbonisierung von kleinen und großen Gewerbegebieten, wir treiben unsere Fachkräfteanwerbung über das Dehoga- und erweiterte Vietnamprojekt voran, genau so wie die sogenannte German Professional School zur Gewinnung von Azubis aus dem Ausland. Ich reise nach Südafrika und Namibia, um den Wasserstoffstandort Thüringen zu präsentieren und Möglichkeiten der internationalen Zusammenarbeit auszuloten. Die Unternehmen erwarten trotz des bevorstehenden Wahljahres eine sachliche, problemlösungsorientierte Arbeit, einen verlässlichen Rahmen und natürlich auch, dass sich Regierung und Opposition im Landtag auf einen Haushalt für das kommende Jahr einigen. Dazu werde ich meinen Teil beitragen.

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