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Fachkräfte erfolgreich einbinden 

Mitarbeitende müssen sich gewollt, geliebt und gebraucht fühlen

Die einen nennen es Fachkräftemangel, die anderen Fachkräftebedarf. Wie man es auch betrachtet: Thüringer Unter­nehmen sind seit Jahren auf der Suche nach Fachkräften. Diese Situation verschärft sich zusehends. Aber wenn man schon neue Mitarbeitende gefunden hat: Wie bindet man sie ins Unternehmen ein, so dass sie sich wohl fühlen und gern bleiben?

Wolfgang Struensee, Geschäfts­führer der Crestcom Führungs­schulen, beschäftigt sich schon lange mit diesen und ähnlichen Themen. Im Interview mit dem WIRTSCHAFTSSPIEGEL spricht er über erfolgreiches Onboarding, erläutert die Bedeutung von gelebten Unternehmens­werten und gibt Tipps für Führungskräfte.

„Mitarbeitende müssen sich gewollt, geliebt und gebraucht fühlen!“

Wolfgang Struensee ist Geschäftsführer der Crestcom Führungsschulen und beschäftigt sich schon lange mit den Themen Mitarbeiterbindung, Mitarbeitermotivation und Führungskompetenz.

Herr Struensee, ich beginne unser Gespräch mit einer Binsenweisheit: „Unsere motivierten Mitarbeiter sind unser wertvollstes Gut.“ Diesen Spruch hört und liest man bei jedem Unternehmen. Wie wird aus der Phrase gelebte Wirklichkeit?

Ab dem ersten Moment der Zusammenarbeit muss konsequent daran gearbeitet werden, Mitarbeiter zu verbundenen Kollegen zu machen. Lassen Sie mich es mit drei Worten auf den Punkt bringen: „gewollt, geliebt, gebraucht“. Wir Menschen haben ein Bedürfnis, das uns alle eint. Wir wollen nicht einsam sein. Menschen, die nicht gewollt, nicht geliebt und nicht gebraucht werden, fühlen sich meist einsam. Das betrifft übrigens nicht nur die Arbeitswelt.

Da stimme ich Ihnen völlig zu. Aber was hat das mit Unternehmen und Führungskräften zu tun?

In den letzten Jahren wird im Zusammenhang mit Motivation häufig über Engagement und Dis-Engagement gesprochen. Ein einziger „dis-engagierter“ Mitarbeiter kann die Produktivität eines Teams um bis zu 30 Prozent reduzieren, schreibt das Gallup Institut.

Lassen Sie mich da kurz einhaken: Warum verlieren Beschäftigte häufig innerhalb kurzer Zeit die Motivation und Freude an ihrer Arbeit? Was können Arbeitgeber und Führungskräfte gegen diese Entwicklung tun?

Ganz einfach: Wir müssen unsere Mitarbeitenden „anzünden“, damit sie sagen: „Ich bin die Marke, ich bin das Unternehmen.“ Dazu müssen sie sich gewollt, geliebt und gebraucht fühlen. Ein Weg dahin ist, Leistung anzuerkennen. Viel zu oft hört man noch Sätze wie ‚Nicht geschlagen ist gelobt genug‘ oder ‚Wenn du nichts hörst, ist alles in Ordnung.‘ Mit Anzünden im eben gemeinten Sinne hat dies nichts zu tun. Eher mit Verbrennen. Wir müssen Wege finden, den Menschen Anerkennung für gute Leistungen zugeben. Eine allgemeingültige Lösung gibt es hier nicht. Der eine möchte öffentlich gelobt werden, der andere möchte eine Postkarte nach Hause bekommen, der Dritte freut sich über einen Gutschein – und so fort. Führungskräfte, die ihre Mitarbeiter gut kennen, kennen auch die individuelle Antwort. Geld allein kann eine Lösung sein, aber selten die einzige.

Dann lassen Sie uns zunächst mit dem Anfang einer erfolgreichen Zusammen­arbeit beginnen – also dem Onboarding. Wie sollte es laufen und welche Fehler gilt es zu vermeiden?

Richtiges Onboarding schafft Loyalität, Engagement und Rollenverständnis. In vielen Unternehmen beschränkt Onboarding sich auf den Einarbeitungsplan. Mitarbeiter bekommen Zeit, ihre Aufgaben zu erlernen, notwendige Kompetenzen zu erwerben und werden über Rechte und Pflichten informiert. Damit hat es sich meist – und dann heißt es „Jetzt schwimm los.“ Das reicht aber nicht für einen erfolgreichen Start der Zusammenarbeit. Sollen neue Kollegen ankommen, brauchen wir eine Willkommens-Strategie, die sechs Punkte umfassen sollte:

Bereiten Sie die Ankunft vor:
Wir freuen uns auf Dich.

Pflegen Sie eine herzliche Begrüßung:
Schön, dass Du da bist, wir haben auf dich gewartet.

Verkaufen Sie Marke und Unternehmen:
Ich bin die Marke, ich bin das Unternehmen.

Teilen Sie einen Mentor zu.

Schaffen Sie Verbindungen:
Helfen Sie, Zugang zu den Netzwerken und Teams im Unternehmen zu bekommen.

Halten Sie den Prozess am Laufen:
Bieten sie Weiterbildung, soziale Events et cetera an.

In Zeiten des Umbruchs in Wirtschaft und Gesellschaft – oder nennen wir es besser Transformation – haben wir es mit gleich zwei Phänomenen zu tun: Einerseits müssen und wollen sich Unternehmen neu aufstellen. Andererseits wollen sich Menschen beruflich neu orientieren. Diese Fachkräfte bringen ihre eigenen Erfahrungen und Wünsche mit, die dann auf die Vorstellungen des neuen Unternehmens und dessen Führungskräften treffen. Als Stichwort will ich hier nur das mobile Arbeiten in die Debatte einwerfen.

Das klingt nach einem klassischen Zielkonflikt. Was heißt das für die Neuorganisation der Arbeitswelt in Unternehmen? Gibt es ein „richtig oder falsch“ beziehungsweise ein „entweder oder“?

Auch hier gilt: Jedes Unternehmen ist anders, jede Führungskraft muss ihren eigenen Stil finden. Um dann die neue Mannschaft zu gewinnen und Veränderungen sicher zu meistern, kann beispielsweise das Konzept der „Übergangs-Objekte“ helfen, das aus der Entwicklungspsychologie stammt. Die Idee ist, Routinen und Kommunikationsinseln einzubauen. Ein Beispiel aus Kindertagen: Wenn ein Kind vor dem ersten Schultag nervös ist, nimmt es einen Glücksbringer mit, um die erste Trennung von zu Hause gut zu meistern. Zuhause bespricht man die neuen Eindrücke, erklärt, ermutigt. Nach und nach festigt sich die neue Situation – für beide Seiten. Transferieren wir diesen Prozess in die Arbeitswelt. Es gilt also: Miteinander reden hilft.

Wie viel Mitsprache sollten neue Mitarbeitende bei der Gestaltung ihrer ganz persönlichen Arbeitsbedingungen haben?

Auch hier kann ich nur ermutigen: Haben Sie Vertrauen! Lassen Sie eine Wahl beim „wie“. Nehmen wir an, Sie reduzieren Bürofläche, da immer mehr Mitarbeitende remote arbeiten. Jetzt kommen neue Leute hinzu. Lassen Sie die neuformierten Teams Arbeitsbereiche auswählen, Räume mitgestalten. Gemeinsam ein Umfeld zu kreieren, schafft einen neuen Teamgeist und gibt dem Einzelnen Sichtbarkeit und Wertschätzung. Nichts ist verbindender als Teamerfolg und Veränderung, die sich positiv auf Leben und Arbeiten auswirkt.

Welche Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der Unternehmens­philosophie und dem Leitbild zu?

Das muss man differenziert sehen. Die Menschen interessiert nicht, was Sie ein Leitbild nennen und an die Wand hängen. Die Menschen interessiert auch nicht, was Sie Ihre Grundwerte nennen und gleich neben das Leitbild an die Wand hängen. Sie wollen dieses Leitbild und diese Grundwerte gelebt sehen; in jeder Entscheidung, die Sie als Führungskraft treffen und jeder Handlung, die Sie vollziehen. Das ist, was Menschen prägt.

Aber die Grundwerte sollten nicht nur die Unternehmenswerte betreffen. Sie müssen sich auch auf die persönlichen Werte konzentrieren und Ihren Mit arbeitenden helfen, ihre eigenen persönlichen Werte zu klären. Man kann das in drei Punkte aufschlüsseln:

  1. Leben Sie Werte, Überzeugungen und Visionen vor. Menschen reagieren mehr auf das, was sie sehen, als auf das, was sie hören. Die Mitarbeiten den müssen Dinge wie Leitbilder und Grundwerte in Ihren Entscheidungen und Handlungen erkennen.
  2. Helfen Sie Ihren Mitarbeitenden, ihre persönlichen Werte zu klären. Einer der wichtigsten persönlichen Werte ist Ehrlichkeit. Wenn Sie Ehrlichkeit säen, werden Sie Wachstum ernten. Starke persönliche Werte sind es, die Sie und Ihre Mitarbeiter leiten, das Richtige zu tun.
  3. Führen Sie Ihr Unternehmen mit starken Werten statt mit Richtlinien. Die meisten Unternehmen setzen noch auf Unternehmensrichtlinien. Doch nach Richtlinien geführte Unternehmen erzeugen erzwungenen Gehorsam, während nach Werten geführte Unternehmen freiwilliges Engagement erzeugen.

Interview: Torsten Laudien

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