„Die Unternehmen sind zum Teil weiter als die Politik“
Thüringen und die Nachhaltigkeit: Wie ist es damit bestellt?
Interview mit Thüringens Umweltministerin Anja Siegesmund | Foto: Tino Sieland/TMUEN
Thüringen darf sich schließlich als eine Wiege der Nachhaltigkeit bezeichnen. Hans Carl von Carlowitz, der als Begründer des Begriffs gilt, studierte einst in Jena, bevor er später in Freiberg wirkte. Dort entwickelte er das Prinzip der Nachhaltigkeit, das heute nicht nur auf die Forstwirtschaft, sondern auf nahezu alle Bereiche des Lebens angewandt wird. Nicht erst seit der jüngst beendeten Klimakonferenz in Glasgow ist das Thema in aller Munde. Auch bei den Koalitionsverhandlungen in Berlin spielte es eine zentrale Rolle. Aber es drängen sich Fragen auf, die WIRTSCHAFTSSPIEGEL-Chefredakteur Torsten Laudien mit Thüringens Umweltministerin Anja Siegesmund (B’90 Grüne) besprochen hat.
Frau Ministerin, zunächst mal ganz allgemein gefragt: Wo steht Thüringen in Sachen Nachhaltigkeit? Global betrachtet sitzen wir alle in einem Boot. Sind also unsere Segel richtig gesetzt?
Nachhaltigkeit hat ja viele Ebenen: eine wirtschaftliche, eine soziale und eine ökologische. In diesem Dreieck bewegt sich daher auch meine Antwort: Wenn Sie andere europäische Länder nach Thüringens ökologischem Fußabdruck fragen, sind wir Musterland. Bei den meisten Unternehmen in Thüringen ist längst angekommen, wie man mit grünen Ideen schwarze Zahlen schreiben kann. Wer auf Ressourcenschonung und Energieeffizienz setzt, ist klar im Vorteil. Win-win-win würde ich sagen. Ein Beispiel aus dem sozialen Bereich? Unser Reparaturbonus. So viele haben ihn genutzt. Raus aus der Einweg-Momente-Mentalität will doch gerade heute fast jeder.
Also haben auch die Firmen in Thüringen den Weg in Richtung Nachhaltigkeit eingeschlagen?
Ja, viele schon. Wir sehen eine hohe Investitionsfreude in erneuerbare Energien, zum Beispiel in die Solaranlage auf dem Firmengebäude, aber auch in Elektromobilität im Unternehmensfuhrpark. Allein im Vorjahr hat mein Ministerium Firmen mit 2,5 Millionen Euro für Investitionen in Solaranlagen und Batteriespeicher unterstützt. Weil es sich rechnet. Da fließt ganz schnell Rendite. Bei der Mobilität zeigt allein der Blick auf die Gesamtkosten pro Kilometer: Elektromobilität rechnet sich und ist inzwischen viel attraktiver als der Verbrenner. Das überzeugt immer mehr Unternehmen, klimaschonende und kosteneffektive Firmenwagen anzuschaffen. Und wer sich unsicher ist, dem fördern wir Konzepte und Wirtschaftlichkeitsberechnungen.
Kann man mit Nachhaltigkeit Wertschöpfung generieren?
Ja. Viele Thüringer Unternehmen nutzen neue, lukrative Geschäftsfelder, die sich mit Klima- und Umweltschutz und damit Nachhaltigkeit verbinden lassen. So ist der Ausbau der erneuerbaren Energien gut für das Handwerk, und auch im Bereich der Wasserstoffwirtschaft entstehen ganz neue Jobs. Das Einzige, das jetzt bremst, ist der sich abzeichnende Fachkräftemangel. Wir haben vor drei Jahren mit einer Umweltjobstudie ausrechnen lassen, wie viele Arbeitsplätze es in Unternehmen gibt, die mit ihrem Produkt die Umwelt schützen. Es waren damals rund 60.000 Jobs in Thüringen. Heute liegt die Zahl nochmal deutlich höher. Das sind zum Beispiel auch Erwerbstätige in der Kreislauf- und Abfallwirtschaft, in energiesparenden Technologien, in der nachhaltigen Holzwirtschaft.
Es gab nicht zuletzt auch im WIRTSCHAFTSSPIEGEL Stimmen von Unternehmern, die beklagen, dass Nachhaltigkeit sehr häufig mit Verzicht gleichgesetzt wird. Dabei blickt man auch auf Ihre Partei. Was sagen Sie dazu? Müssen wir verzichten, um nachhaltig zu leben und zu wirtschaften? Und wenn ja, worauf?
Wir bewahren mit unseren Lebensgrund lagen ja die Wurzeln unseres Wohlstandes, wenn wir sie schützen. Das ist erstmal entscheidend. Wenn wir beim Klimaschutz versagen, nehmen wir künftigen Generation die Chance auf Freiheit und Wohlstand wie bisher – deshalb hat das Bundesverfassungsgericht der Politik insgesamt konsequenteren Klimaschutz aufgetragen.
Und es kommt doch auf die Veränderung an, ob ich sie als Verzicht oder Zugewinn an Lebensqualität empfinde. Saubere Luft durch E-Busse in Innenstädten ist sicher ein Gewinn, saubere Böden und Gewässer durch weniger Verschmutzung sind es auch. Nachhaltigkeit heißt ja erstmal lediglich, nicht rücksichtlos mehr zu verbrauchen als uns an natürlichen Ressourcen zyklisch zur Verfügung steht. Also nicht auf Kosten der Umwelt oder der künftigen Generationen oder anderer Weltgegenden zu leben, die von den Auswirkungen unseres Handelns betroffen sind. Ich bin sehr froh, dass sich diese Einsicht durchsetzt.
Manche Ihrer politischen Wettbewerber setzen auf die Kraft des Marktes. Kann der Markt das Problem endlicher Ressourcen wirklich lösen? Oder anders gefragt: An welchen Stellen ist Regulierung Ihrer Auffassung nach nötig?
Ohne die Kraft des Marktes bekommen wir gar nicht die Innovationen, die für den klimaneutralen Umbau der Industriegesellschaft notwendig sind. Wirtschaftskraft und Klima- beziehungsweise Umweltschutz gehen doch Hand in Hand. Entscheidend ist, dass wir die richtigen Ziele setzen und die richtigen Leitplanken. Der Ausstieg aus der Kohle ist ein klares Ziel, auf das sich die Energieunternehmen einstellen können. Fehlinvestitionen in fossile Gas- oder Ölinfrastruktur wird es nicht mehr geben.
Plus: Preise können ein starker Innovationstreiber sein, und es ist klar, dass Umweltverschmutzung oder klimaschädliche Produktionsweisen einen Preis haben.
Sie sagen es: Es dreht sich alles ums Geld – aber eben in beide Richtungen. Nehmen wir einfach mal die Energiepreise, die alle Menschen jeden Tag an den Tankstellen nachvollziehen können – Stichwort CO2-Preis. Muss die Politik – egal ob Bund oder Land – Bürger und Unternehmen entlasten, um ihnen die Energiewende schmackhaft zu machen? Kann und will sie das überhaupt?
Zunächst: Die Energiepreise haben gerade eine globale Dynamik – da suchen auch unsere Nachbarländer wie Frankreich oder Spanien eigene Antworten. Die Preise gehen wegen der stark gestiegenen Nachfrage nach Corona, der Verknappung durch die fossile Energien liefernden Länder und nur zu einem Fünftel auf die CO2-Bepreisung zurück.
Machen wir uns doch endlich unabhängig von schmutzigen und teuren Energieimporten. Je mehr Energie wir selbst produzieren und gleich bei uns konsumieren, desto besser für die Umwelt und unsere Geldbeutel. Der CO2-Preis hat an der derzeitigen Dynamik einen relativ kleinen Anteil – aber natürlich ist seine Lenkungswirkung wichtig. Klimabelastungen haben ihren Preis – und wer grün und sauber produziert, ist klar im Vorteil.
Klar ist, dass wir in Deutschland zugleich Haushalten unter die Arme greifen müssen, für die zusätzliche Kosten unverhältnismäßig hoch werden. Dafür brauchen wir ein Energiegeld, das mit der neuen Bundesregierung kommen muss.
Es gibt ja schon viele Anreize, durch finanzielle Förderungen die Energiewende in Thüringen zusätzlich attraktiv zu machen, sowohl für die Bürger als auch für Kommunen und Unternehmen. Wir fördern mit Green Invest die Energieeffizienz in Betrieben. Wir fördern mit Klima Invest Investitionen in die kommunalen Liegenschaften. Wir fördern mit Solar Invest mehr Sonnenenergie auf den Dächern, auch für Unternehmen. Wir fördern saubere E-Busse in den Landkreisen Thüringens. Und so weiter.
Deshalb: Ja zur Lenkungswirkung eines CO2-Preises und ja zu Förderungen bei den Umstellungen. Und schließlich: Ja zur finanziellen Unterstützung dort – sei es in der Stadt oder im ländlichen Raum – wo Kostensteigerungen unverhältnismäßig hoch sind.
Dann kommen wir mal zum Praktischen. Mit welchen konkreten Maßnahmen fördert Ihr Ministerium Maßnahmen zur Nachhaltigkeit in Unternehmen?
Green Invest habe ich ja schon genannt. Hier haben wir seit 2015 schon etwa 40 Millionen. Euro eingesetzt und knapp 2.000 Unternehmen beim Umstellen beispielsweise auf neue, effizientere Maschinen, Druckluftanlagen oder energiesparende Beleuchtungen helfen können.
Solar Invest bringt Photovoltaik auch auf die Produktionsgebäude von Unternehmen. Ein Fünftel unserer extrem gut nachgefragten Förderung für den Sonnenstrom vom eigenen Dach geht in die Wirtschaft.
Wer sich mit dem Gedanken trägt, den Fuhrpark oder Dienstwagen umzustellen, für den ist E-Mobil-Invest die erste Wahl. Hier fördern wir nicht nur den Kauf von Elektroautos oder Ladesäulen, sondern zahlen Gutachten und Berechnungen in weiten Teilen. Damit bekommen Interessierte schwarz auf weiß, wie nachhaltiges Handeln dem eigenen Unternehmen und dem Klima nutzt.
Cargobike Invest, unser Programm für Lastenräder, kommt vor allem bei kleineren Unternehmen und Selbstständigen gut an. Wir fördern die Vernetzung im gemeinsamen Nachhaltigkeitsabkommen (NAThüringen), einem wachsenden Wirtschaftsnetzwerk. Hier suchen und finden Kammern, Verbände und die Landesregierung mit den Unternehmen vorbildliche Innovationen für mehr Nachhaltigkeit. Der Austausch in diesem Klub der Nachhaltigkeit bringt immer wieder neue Anstöße und Ideen.
Wie wird das seitens der Unternehmerschaft angenommen?
Ich führe ja viele Gespräche mit Unternehmen quer durch Thüringen – etwa mit Autozulieferern, der Gipsindustrie, mit Papierfabriken, Medizintechnikproduzenten und vielen anderen. Die Dekarbonisierung kommt. Ich empfehle immer die McKinsey-Studie ‚German Zero‘. Und ich höre immer öfter, dass Unternehmen zum Teil weiter sind als die Politik, denn sie suchen Standorte auch immer öfter nach der Möglichkeit aus, CO2-neutral zu produzieren. Das ist längst ein Standortvorteil, wenn wir daran weiterarbeiten und auch die Erneuer baren konsequent ausbauen.
Letzte Frage, Frau Ministerin: Gibt es für Sie ein Paradebeispiel für nachhaltiges Wirtschaften in Thüringer Unternehmen?
Sehen Sie es mir nach: Ich werde kein Unternehmen gesondert hervorheben. Dafür gibt es einfach zu viele, die bereits die Segel gesetzt haben Richtung Nachhaltigkeit.
Interview: Torsten Laudien
Umweltministerin Anja Siegesmund bei der 9. Erneuerbare-Energien- und Klimakonferenz am 2. September 2021 in Weimar | Foto: Tino Sieland/TMUEN