Wir wären verrückt, wenn wir das nicht nutzen würden

Die vergangenen eineinhalb Jahre haben die Arbeitswelt auf den Kopf gestellt.

Wolfgang Struensee, Experte und Coach für Führungskompetenz | Foto: Crestcom

Projektmanagement aus dem Homeoffice, Onlinekommunikation, virtuelle Messebesuche sollten „den Laden am Laufen halten“. Sogar der Gesetzgeber hat zweitweise eingegriffen – Stichwort Homeoffice-Pflicht. Mit sinkenden Inzidenzzahlen kehrt so langsam wieder Normalität ins Arbeitsleben ein – von vielen aber zu Recht „neue Normalität genannt“. Wolfgang Struensee ist Experte und Coach für Führungskompetenz. Im WIRTSCHAFTSSPIEGEL spricht er darüber, was Unternehmen am Ende Positives für die künftige Gestaltung der Arbeitswelt mitnehmen können.

Herr Struensee, wir scheinen das Virus einigermaßen im Griff zu haben. Also alles zurück auf Anfang? Oder was bleibt als Positives am Ende der Pandemie?

Auf Anfang sicher nicht – wir wären ja verrückt, wenn wir die neu gewonnenen Möglichkeiten nicht nutzen würden. Wir haben effizienter Wissen ausgetauscht, zeitsparend online supportet und viel weniger Zeit im Auto oder auf der Schiene verbracht. Ganz zu schweigen von der damit verbunden Senkung der Aufwendungen und CO2-Einsparungen.

Ganz abstrakt betrachtet war diese Pandemie ein Change-Prozess ohne Anlauf, ohne Netz und doppelten Boden. Wie fällt für Sie die allgemeine Bilanz aus? Ist dieser Change gelungen?

Ja, aber es kommt wie immer auf den Einzelfall an. Herausforderung war und ist, Teams durch Unsicherheit und Wandel souverän und sicher zu führen. Viele Führungskräfte entwickelten innovative Lösungen, die bestehen bleiben. Vor dem Hintergrund, dass normalerweise etwa 70 Prozent aller Veränderungsinitiativen scheitern, ist es nun wichtig, die Teams bei der nachhaltigen und sinnvollen Neuorganisation zu unterstützen.

Die Ausgangslage war ja von Unternehmen zu Unternehmen – wie auch unter den Mitarbeitenden – sehr unterschiedlich. Manche Firmenchefs haben mobiles Arbeiten sehr schnell eingeführt, andere hingegen wollten ihre Belegschaft weiter im Blickkontakt haben. Manche Mitarbeitenden haben mobiles Arbeiten als angenehm empfunden, andere hatten gar keine vernünftige Arbeitsmöglichkeit zuhause. Was heißt das für die Neuorganisation der Arbeitswelt? Gibt es ein „Richtig oder Falsch“ beziehungsweise ein „entweder oder“?

Auch hier gilt: jedes Unternehmen ist anders, jede Führungskraft muss ihren eigenen Stil finden. Um dann die Mannschaft zu gewinnen und Veränderungen sicher zu meistern, kann beispielsweise das Konzept der „Übergangs-Objekte“ helfen, das aus der Entwicklungspsychologie stammt. Die Idee ist, Routinen und Kommunikationsinseln einzubauen. Ein Beispiel aus Kindertagen: Wenn ein Kind vor dem ersten Schultag nervös ist, nimmt es einen Glücksbringer mit, um die erste Trennung von zu Hause gut zu meistern. Zuhause bespricht man die neuen Eindrücke, erklärt, ermutigt. Nach und nach festigt sich die neue Aufgabe – für beide Seiten. Transferieren wir diesen Prozess in die Arbeitswelt.

Wie viel Mitsprache sollten Mitarbeitende bei der Neugestaltung ihrer ganz persönlichen Arbeitsbedingungen haben?

Haben Sie Vertrauen! Lassen Sie eine Wahl beim „wie“. Nehmen wir an, sie reduzieren Bürofläche, da immer mehr Mitarbeitende remote arbeiten. Lassen Sie die Teams Arbeitsbereiche auswählen, Räume mitgestalten. Gemeinsam ein Umfeld zu kreieren, schafft Teamgeist und gibt dem Einzelnen Sichtbarkeit und Wertschätzung. Nichts ist verbindender als Teamerfolg und Veränderungen, die sich positiv auf Leben und Arbeiten auswirkt.

Interview: Torsten Laudien

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