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Region im Profil: Landkreis Saalfeld-Rudolstadt
„Unsere Stärke ist die große Bandbreite der Unternehmen”
Im Gespräch mit Saalfelds Landrat Marko Wolfram
Willkommen im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt. Hier sitzt der Sozialdemokrat Marko Wolfram seit 2014 auf dem Chefsessel des Landratsamts. 2020 wurde er mit großer Mehrheit gegen zwei andere Kandidaten wiedergewählt. Das spricht dafür, dass sich der Landkreis auf einem guten Weg befindet. Aber fragen wir ihn selbst. Im Interview mit dem WIRTSCHAFTSSPIEGEL stellt er den Landkreis näher vor, spricht über die Herausforderungen der nächsten Jahre und lädt zu einem Besuch der Region und ihrer reizvollsten Orte ein.
Herr Landrat, wie würden Sie die aktuelle Wirtschaftsstruktur im Landkreis beschreiben? Welche Branchen sind besonders prägend und erfolgreich? Welche Unternehmen oder Industriezweige sind die wichtigsten Arbeitgeber in der Region?
Der Landkreis mit dem Städtedreieck Saalfeld, Rudolstadt, Bad Blankenburg ist nach wie vor ein wirtschaftliches Powerhouse in Thüringen. Unsere Stärke ist die große Bandbreite der Unternehmen vom großen Stahlwerk Thüringen bis zum familiengeführten Handwerksbetrieb oder der Fahrradmanufaktur. Diese Vielfalt hat sich gerade in den Krisenjahren als besonders widerstandsfähig erwiesen. Das hat wiederum verschiedene Ursachen: viele der mittelständischen Betriebe wurde zur Wendezeit von mutigen Männern und Frauen gegründet. Diese Betriebe sind in ganz schwierigen Zeiten entstanden und können sich deshalb heute auf sich rasant ändernde Rahmenbedingungen besser einstellen als viele Unternehmen in den alten Bundesländern. Oft haben jetzt die Kinder der Gründerinnen und Gründer die Firmen übernommen und führen diese innovativ und kreativ weiter. Ein weiterer Grund ist die hohe Qualifikation und Identifikation der Beschäftigten mit ihrer Firma. Die Menschen sind sehr heimatverbunden und wollen hier leben, deshalb engagieren sie sich auch im Arbeitsleben.
Unser industrielles Zugpferd ist und bleibt das Stahlwerk Thüringen. Größter Arbeitgeber sind die Thüringen-Kliniken „Georgius Agricola“ Saalfeld-Rudolstadt. Darüber hinaus gibt es große und starke Player wie die Papierfabrik Jass, das Schokoladen werk in Saalfeld oder in Rudolstadt Siemens Healthineers oder Aeropharm, um nur einige zu nennen. Das Rückgrat bildet der Mittelstand mit unglaublich innovativen, inhabergeführten Betrieben, die bundesweit oder weltweit spitze in ihrer Branche sind: Reschwitzer Saugbagger Produktion, Tischlerei Jahn, Rudolstädter Systembau, Medizintechnikhersteller Intercus in Bad Blankenburg, Königsee Implantate oder Industrielackierung Biedermann in Könitz, die gerade von der LEG als „Hidden Champion“ ausgezeichnet wurden. Neue Ideen und Produkte werden immer wieder im TITK, dem Thüringer Institut für Textil- und Kunststoffforschung, hervorgebracht.

Landrat Marko Wolfram | Foto: LRA Saalfeld-Rudolstadt
Wie hat sich der Wirtschaftsstandort in den letzten Jahren entwickelt? Welche positiven Trends, aber auch Herausforderungen sehen Sie zurzeit?
Der Standort hat sich trotz Rück schlägen insgesamt sehr positiv entwickelt. Am TITK haben wir in diesem Jahr den Grundstein für ein neues Demonstrations- und Innovationszentrum für die textile Kreislaufwirtschaft gelegt mit einem Investitionsvolumen von 11,5 Millionen Euro. Siemens hat 27 Millionen Euro am Standort Rudolstadt investiert und im vergangenen Jahr eine neue Produktionshalle für Komponenten der medizinischen Strahlentherapie in Betrieb genommen. Rudolstadt hat sich als einer von zwei weltweiten Standorten durchgesetzt. Das spricht für Vertrauen in die Region. Viele Firmen expandieren und investieren zudem in die Digitalisierung ihrer Prozesse. Basis für den Erfolg, so sagen mir aber praktisch alle Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer, ist und bleibt die hohe Qualität. Wenn wir uns am Markt behaupten wollen, dann nur darüber. Billig können andere besser.
Die beiden größten Herausforderungen bestehen aus meiner Sicht aus den hohen Energie preisen und dem demografischen Wandel. Unter den Energie preisen leiden die energieintensiven Unternehmen wie Stahlwerk oder Papierfabrik besonders stark, betroffen sind natürlich alle. Hier warten wir auf die neue Bundesregierung, die Besserung versprochen hat. Der demografische Wandel ist schwerer zu bekämpfen. Jährlich scheiden doppelt so viele Menschen aus dem Erwerbsleben aus, wie unsere Schulen verlassen. Diese Lücke können wir ein Stück weit durch zugewanderte Menschen aus der Ukraine und anderen Teilen der Welt schließen. Das wird auf lange Sicht aber nicht reichen und wir müssen deshalb als Region – Wirtschaft
und Verwaltung gemeinsam – attraktive Angebote im Wettbewerb um Fachkräfte entwickeln.

Heidecksburg im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt| Foto: Micha Trillhaase – stock.adobe.com
Wie bewerten Sie die Infrastruktur im Landkreis hinsichtlich der Verkehrsanbindung, dem Breitbandausbau und dem Angebot an Gewerbeflächen? Welche Investitionen plant der Landkreis, um seine Wettbewerbsfähigkeit zu sichern?
Die Infrastruktur hat sich in den vergangenen Jahren massiv verbessert. Die lange geforderte B90 neu zur Autobahn 71 hat Fahrzeiten deutlich verringert. Die B88 nach Jena wird durch Ortsumgehungen und Tunnel auch immer besser. Richtung A9 hat sich außerhalb unseres Landkreises auch vieles verbessert. Bei uns steht an großen Projekten der neue Ab schnitt an der B281 am Vogelschutz an. Der Bahnübergang ist ein seit Jahrzehnten bestehendes Nadelöhr. Teilweise müssen Firmen die gesamte Schrankenanlage abbauen, um mit ihren Schwerlasttransporten zu den Kunden zu kommen. Das kostet Zeit und Geld. Insofern hoffe ich, dass hier durch das Milliardenpaket für die Infrastruktur Tempo aufgenommen wird.
Der Breitbandausbau ist weitestgehend durch. Der Landkreis hat hier für die Gemeinden einen großen Teil des geförderten Ausbaus übernommen.
Was bei Infrastruktur gerne vergessen wird, ist der Teil unter der Erde: Wasser und Abwasser. Hier hat der Zweckverband ZWA in den vergangenen Jahren über 400 Millionen Euro investiert – eine gigantische Summe. Das sichert nicht nur die Trinkwasserversorgung der Menschen und Unternehmen, sondern dient auch der Anpassung an den Klimawandel mit knapper werdenden Trinkwasservorräten. Unterm Strich war das ein riesiges Konjunkturprogramm für heimische Tiefbauunternehmen.
Für Neuansiedlungen stehen in der Regel ausreichend Gewerbeflächen zur Verfügung. Diese sind bei uns immer willkommen, sie müssen natürlich auch in die Region passen und hier akzeptiert sein. Wir stehen als Verwaltung beratend und unterstützend gern zur Verfügung. Der Landkreis investiert in die Ausbildung der künftigen Fachkräfte durch eine gute Ausstattung unserer Schulen. Hier haben wir im Digitalpakt der Bundesregierung mehr als vier Millionen Euro investiert, um die Digitalisierung massiv voranzutreiben. Das betrifft in erster Linie die Netzwerkausstattung der Schulen aber auch digitale Endgeräte für Schülerinnen und Schüler und Lehrerinnen und Lehrer. Viel Geld gibt der Landkreis auch für die weichen Standortfaktoren aus. Kultur, Tourismus, Betreuung der Familien von jung bis alt. Das macht uns attraktiv im Wettbewerb mit anderen Regionen um Arbeitskräfte und junge Familien.

Landrat Wolfram beim Besuch der Artefactum GmbH | Foto: LRA Saalfeld-Rudolstadt
Wie gehen Sie als Landrat und Ihre Verwaltung mit den konjunkturellen Schwankungen und dem aktuell eher verhaltenen Investitionsklima um? Was kann ein Landkreis in diesem Umfeld überhaupt leisten?
Zum einen investieren wir in Straßen, Schulen und Breitbandausbau, was
auch der Wirtschaft hilft. Als Landrat bringe ich mich aber auch häufiger hinter den Kulissen ein, etwa um Projekte zur Energieversorgung voranzutreiben. Hier hat sich das Stahlwerk Thüringen ja seit Jahren auf den Weg gemacht, den Energieverbrauch zu senken und auf erneuerbare Energien umzustellen. Das Thema spielt insgesamt eine große Rolle für den Industriestandort Saalfeld-Rudolstadt. Ich bin froh, dass Vattenfall inzwischen die Pläne für ein weiteres Pumpspeicherwerk wieder verfolgt. Hier versuche ich Wege zu ebnen und Partner zusammenzubringen. Eine andere Stellschraube ist die Verfügbarkeit von gut ausgebildeten Fachkräften. Hier sind wir mit dem Bildungszentrum und dem Jobcenter gut vernetzt. Im vergangenen Jahr haben wir über 500 Menschen aus der Ukraine und anderen Ländern qualifiziert oder direkt in den Arbeitsmarkt integriert. Zu den Aufgaben gehört aber auch das Krisenmanagement wie aktuell bei der SAMAG in Saalfeld oder Conti in Bad Blankenburg. Hier ist der Landrat mit allen relevanten Akteuren in Kontakt, aber das ist nichts, worüber man im laufenden Prozess sprechen kann, da sonst Vertrauen zerstört werden könnte.
Welche Rolle spielen Innovation und Technologieförderung im Landkreis? Wie unterstützt die Verwaltung Existenzgründer und technologieorientierte Unternehmen? Ich spiele hierbei auf die in meinen Augen sehr umtriebige Wirtschaftsförderagentur des Landkreises an. Welche Angebote gibt es für Unternehmen und Gründer?
Ich sehe das genau wie Sie. Unsere Wirtschaftsförderagentur zusammen mit dem bewährten Innovations- und Gründungszentrum (IGZ) ist ein perfektes Instrument für das Portfolio an Aufgaben. Gründer finden im IGZ sehr gute Startbedingungen. Ein sehr gutes Beispiel ist die Firma CrossWorx Cycles. Das sind ganz engagierte junge Leute und begeisterte Mountainbiker, die gesagt haben, wir bauen ein eigenes Rad. Inzwischen werden in der kleinen Manufaktur High-End-Fahrräder gebaut. Darüber freuen wir uns natürlich. IGZ und Wifag stellen nicht nur Räume, sondern natürlich auch Fördermittelberatung und weiteres Know-how zur Unternehmensgründung. Ein großer Baustein ist aber auch die Bestandspflege der Unternehmen. Hier organisiert die Wifag immer wieder Fachveranstaltungen zum Tourismus, zur IT-Sicherheit oder
Fachkräftegewinnung. Das ist nicht zu unterschätzen und stärkt letztlich unsere robuste Struktur.
Eine Schlüsselstellung bei Forschung und Innovation hat natürlich das TITK, das eng mit der Industrie zusammenarbeitet. Aber auch unsere kleineren Firmen sind sehr innovativ. Die Firma VST in Saalfeld war von Beginn an auf höchster Ebene in die neue digitale Pass bildfotografie eingebunden, die seit 1. Mai in Kraft ist. Wichtig für die Innovationskraft ist aus meiner Sicht die Netzwerkpflege, hier spielt der Saale Wirtschaft e.V. eine hervorragende Rolle.
Welche Bedeutung haben nachhaltige Entwicklung und regionale Wirtschaftskreisläufe für den Landkreis? Gibt es konkrete Projekte oder Ziele?
Das Thema Nachhaltigkeit ist ja sehr im Trend. Bei uns ist das seit Jahren selbstverständlich. Das Stahlwerk produziert schon seit vielen Jahren den neuen Stahl zu 100 Prozent aus Altmetall, das aus einem überschaubaren Umkreis hergebracht und mit Ökostrom eingeschmolzen wird. Vor allem bei der Energie können und müssen wir möglichst mehr hier vor Ort erzeugen und verwenden. Man kann Erneuerbare grundsätzlich schlecht reden, ich fände es toll, wenn wir Energie auch hier produzieren und das Geld dafür im Landkreis bleibt. Das macht Deutschland insgesamt auch unabhängiger. Hier laufen aktuell verschiedene Projekte bei großen Unternehmen, da muss ich aber um etwas Geduld bitten. Dazu wäre ein weiteres Pumpspeicherkraftwerk in Probstzella/Unterloquitz eine tolle Sache. Ich habe für das Projekt gerade einen Letter of Intent abgegeben, der die Einordnung in die Europäische Energiearchitektur beschreibt. Wir brauchen sie, um beim weiteren Ausbau der regenerativen Energien aus Sonne und Wind Angebot und Nachfrage ausgleichen zu können und die Netze stabil zu halten.

Inbetriebnahme eines Gasbusses mit dem damaligen
Umweltminister Bernhard Stengele (links im Bild) | Foto: LRA Saalfeld-Rudolstadt
Ihr Landkreis gehört zweifellos zu den landschaftlich reizvollsten im Freistaat. Wie wichtig ist der Tourismus für den Wirtschaftsstandort? Welche Potenziale sehen Sie in der Verbindung von Wirtschaft, Kultur und Naherholung?
Schön, dass Sie das auch so sehen. Für mich ist meine Heimat der schönste Landkreis überhaupt. Der Tourismus spielt eine wichtige Rolle und wir haben einige sehr professionelle Anbieter wie die Saalfelder Feengrotten und die Schwarzatalbahn mit der berühmten
Bergbahn. Gleichzeitig ist noch Luft nach oben. Ich sehe uns aber nicht als Ziel für den Massentourismus, sondern eher bei naturverbundenen, kulturinteressierten Menschen und Familien. Das sagen uns auch die Fachleute so. Deshalb heißt es für uns: die Rahmenbedingungen wie top über regionale Wander- und Radwege weiter ausbauen und wie auch bei den klassischen Wirtschaftsunternehmen auf Qualität zu setzen. Da stimmt es mich sehr froh, dass die Tischlerei Jahn, die ja bundesweit Gastronomieeinrichtungen in Flughäfen und an Autobahnen baut, nun in der Heimatstadt Bad Blankenburg ein leerstehen des Gebäude zum 4-Sterne-Hotel umbaut. Das „Morgenroth“ soll im Sommer eröffnen. Abgesehen vom Tourismus ist unsere herrliche Landschaft mit dem hervorragenden kulturellen Angebot ein absoluter Standortfaktor. Die Menschen schätzen die hohe Lebensqualität und die Verein barkeit von Familie und Beruf. Das wollen wir mit unserer attraktiven Broschüre „Heimat gestalten“ noch stärker nach außen tragen, aber auch den hier Lebenden bewusst machen.
Zum Abschluss: Was sollte man im Landkreis unbedingt besucht haben? Wohin führen Sie Ihre Gäste?
Das Rudolstadt Festival muss man mal erlebt haben, schon allein, weil man so eine bunte Vielfalt in so einer Region nicht erwartet. Als Probstzellaer führe ich alle meine Gäste in das Haus des Volkes als größtes Bauhaus-Denkmal in Thüringen. Die erwähnten Feengrotten sind natürlich ein Muss, ebenso wie Rudolstadt mit der Heidecksburg und unserem schönen Theater. Das Saaletal, das Schwarzatal, der Kulm, das Thüringer Meer, das Schiefergebirge samt Grünem Band und Rennsteig – eigentlich gibt es bei uns überall so schöne Dinge zu entdecken, da reicht ein Besuch gar nicht aus. Am besten, man zieht mit der Familie hierher!
Interview: Torsten Laudien