Lesedauer: 6 Minuten
„Wir müssen das Zeitfenster nutzen“
Alle Jahre wieder: In den Sommermonaten begeben sich viele Politikerinnen und Politiker auf Sommertour. Da macht die Thüringer Wirtschaftsministerin Colette Boos-John keine Ausnahme. Im Interview mit WIRTSCHAFTSSPIEGEL-Chefredakteur Torsten Laudien zieht sie eine erste Bilanz ihrer Begegnungen und spricht darüber, wie es jetzt mit den vielen Impulsen weiter geht, die sie von ihrer Reise mitgebracht hat.

Foto: TSK/Andreas Pöcking
Frau Ministerin, Ihre erste Sommertour im Amt liegt hinter Ihnen. Das große Thema war „Möglichmachen“. Sie haben sich mit zahlreichen Akteuren getroffen: Mit Leuten, die möglich machen, und mit solchen, die darauf setzen, dass die Politik bessere Möglichkeiten schafft. Das interpretiere ich als eine Art Stimmungstest. Nicht zuletzt hat ja auch Bundeskanzler Friedrich Merz gesagt, dass sich die Stimmung bis zum Sommer verbessern solle. Also: Auf welche Stimmung sind Sie in den Thüringer Unternehmen getroffen?
Mein Eindruck war ganz klar: Die Stimmung bessert sich. Es gibt eine neue Zuversicht, einen Grundoptimismus, dass es in Deutschland und erst recht bei uns in Thüringen bald wieder aufwärts geht. Natürlich wurde viel über Herausforderungen gesprochen, natürlich wurden mir viele Hürden genannt, vor denen man als Unternehmerin, als Unternehmer in diesem Land steht. Aber insgesamt sehen viele das Glas doch halbvoll statt halbleer. Viele sind auch bereit, der Bundes- und auch der Landesregierung Vorschusslorbeeren zu geben, weil sie sehen: Es gibt endlich wieder ein Grundverständnis für die Wirtschaft – eine Bereitschaft, die Sorgen und Nöte der Wirtschaft ernst zu nehmen. Keine Frage: Dieses Vertrauen muss die Politik jetzt rechtfertigen. Dafür sind wir angetreten.
Im Vorfeld Ihrer Sommertour haben Sie angekündigt, dass Tacheles geredet werden und auch unbequeme Wahrheiten ausgesprochen werden sollen. Machen wir es also konkret: Welche unbequemen Wahrheiten sind zur Sprache gekommen?
Das fängt natürlich bei ganz grundsätzlichen Hinweisen zu den hohen Energiepreisen, zur Steuer- und Abgabenbelastung oder zum Bürokratiedschungel an. Aber es gab auch eine Reihe ganz konkreter Punkte, von den zu starren Arbeitszeitbestimmungen über überbordende Statistik- und Erfassungspflichten oder das komplexe Bau- und Vergaberecht bis zu umständlichen Verwendungsnachweisen für Fördermittel. Ein paar Beispiele: Eine Baufirma, die über Tarif zahlt, würde gern in den Monaten, in denen es wetterbedingt möglich ist, auch einmal über die tariflich vorgegebene Arbeitszeit arbeiten – aber da führt arbeitsrechtlich kein Weg rein. Oder: Ein Bauantrag für einen Kälberstall brauchte mehr als zwei Jahre zur Bearbeitung. Oder: Fachkräfte, die aus dem Ausland zu uns kommen, müssen einen Mindestverdienst von 3.622 Euro nachweisen – was gerade in Ostdeutschland eine echte Hürde ist, die qualifizierte Zuwanderung verhindert. Oder: Der Besitzer eines Erdbeerfeldes muss dreimal im Jahr vom zuständigen Landkreis auf korrekten Anbau kontrolliert werden. Hoher Erfassungsaufwand von Daten und Statistiken war generell ein Thema, andere Themen betrafen hohe Arbeitsschutzauflagen oder die mangelnde Digitalisierung der Verwaltung.
Sie sagten im Vorfeld auch, dass Sie mit Ihren Gesprächspartnern über unkonventionelle Ideen diskutieren wollen. Was ist dabei an Sie herangetragen worden?
Es gab einige Vorschläge, die wir jetzt sondieren und dann entweder selbst umsetzen oder an die entsprechenden Stellen weiterleiten werden. Ein Thema, das mir noch sehr präsent ist, betraf Existenzgründungen. Hier gab es die Idee, dass man in Deutschland doch eine zweijährige „Testphase“ für Gründungen einführen sollte, in der man seine Geschäftsidee erstmal frei ausprobieren kann, bevor man Genehmigungen und Zulassungen beantragt, umfangreich investiert usw. Die Beobachtung ist hier, dass potenzielle Gründer den bürokratischen Aufwand, der mit einer Gründung verbunden ist, häufig scheuen – und deshalb manche gute Idee liegenbleibt. Ich habe zugesagt, dass wir das einmal gründlich prüfen. Da fällt mir übrigens gleich auch ein zweites Thema rein: Neu gegründete Unternehmen werden in Deutschland bei Vergaben mitunter noch benachteiligt – anders als in anderen Ländern, wo die öffentliche Hand oft die erste Instanz ist, die Jung unternehmen Aufträge gibt und sie damit fördert. Auch dieses Thema werden wir weiterverfolgen.
Ich zitiere Sie gleich noch einmal. Sie sagten: „Alle konkreten und grundsätzlich mach baren Vorschläge werden gesammelt, ernsthaft geprüft – und können am Ende in das wirtschaftspolitische ‚Pflichtenheft‘ der Landesregierung einfließen.“ Wie steht es um diesen Prüfungsprozess?
Mein Eindruck war ganz klar: Die Stimmung bessert sich. Es gibt eine neue Zuversicht, einen Grundoptimismus, dass es in Deutschland und erst recht bei uns in Thüringen bald wieder aufwärts geht. Natürlich wurde viel über Herausforderungen gesprochen, natürlich wurden mir viele Hürden genannt, vor denen man als Unternehmerin, als Unternehmer in diesem Land steht. Aber insgesamt sehen viele das Glas doch halbvoll statt halbleer. Viele sind auch bereit, der Bundes- und auch der Landesregierung Vorschusslorbeeren zu geben, weil sie sehen: Es gibt endlich wieder ein Grundverständnis für die Wirtschaft – eine Bereitschaft, die Sorgen und Nöte der Wirtschaft ernst zu nehmen. Keine Frage: Dieses Vertrauen muss die Politik jetzt rechtfertigen. Dafür sind wir angetreten.
Viele Regelungen und viele bürokratische Hürden für die Wirtschaft resultieren aus Bundes- oder europäischen Gesetzen. Welche Möglichkeiten hat die Thüringer Landesregierung eigentlich, die Rahmenbedingungen für die heimische Wirtschaft zu verbessern?
Richtig ist, dass der Großteil der Regelungen, die in Thüringen greifen, auf Bundes- und EU-Ebene gemacht wird – Schätzungen sagen: weit mehr als 80 Prozent. Immerhin kann das Land schon mal überall dort Erleichterungen schaffen, wo es selbst zuständig ist – bei seinen Landesgesetzen, Förderrichtlinien, der Bauordnung usw. Und wir können uns als Land natürlich auch auf Bundesebene einbringen und Gehör verschaffen – über die Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Staatsmodernisierung“ zum Beispiel, die gerade erst von der Ministerpräsidentenkonferenz eingerichtet worden ist, oder über den neuen Ausschuss für Digitales und Staatsmodernisierung beim Bundesrat. Ich glaube tatsächlich, dass es gerade ein weit offenes Zeitfenster und viel Rückenwind für den Bürokratieabbau in Deutschland gibt. Das sollten wir nutzen.
In diesem Zusammenhang: Was ist eigentlich aus dem „Bürokratiemelder“ geworden? Wie wird er von den Unter – nehmen genutzt und wie wird mit diesen Meldungen umgegangen? Geben Sie uns bitte eine „Wasserstandsmeldung“.
Der Bürokratiemelder liegt bei der Thüringer Staatskanzlei beziehungsweise beim Normenkontrollrat des Landes. Was an Hinweisen eingeht, wird entsprechend seines Inhalts auf die jeweils zuständigen Ressorts verteilt, die sich dann um eine Lösung bemühen. Die meisten Meldungen kamen aber offenbar gar nicht aus dem Bereich der Wirtschaft, sondern von Privatpersonen. Da ging es vor allem um lange Bearbeitungszeiten bei bestimmten Verwaltungsvorgängen oder fehlenden Datenaustausch zwischen unterschiedlichen Behörden. Bei uns sind über den Bürokratiemelder bisher noch keine Hinweise eingegangen. Aber das liegt vermutlich auch daran, dass es derzeit gerade viele andere Kanäle gibt, über die wir mit Wirtschaft, Landwirtschaft und Verbänden über das Thema Bürokratie ganz eng im Austausch sind.
Eine letzte Frage, Frau Ministerin: Bevor Sie ins Amt kamen, waren Sie erfolgreiche Unternehmerin und engagierte Verbandsfunktionärin. Sie haben Forderungen an die Politik adressiert. Jetzt sind Sie selbst Empfängerin dieser Botschaften. Wie geht es Ihnen damit, wie gehen Sie mit dieser veränderten Situation um?
Natürlich ist das ein Rollenwechsel, aber so funktioniert das System. Es ist ja quasi das „Geschäft“ von Politik, Forderungen in Lösungen umzuwandeln. Damit kann ich gut leben. Natürlich: Die Breite von Themen, mit denen eine Ministerin sich zu beschäftigen hat, und die jeweilige Detailtiefe ist schon sehr hoch. Politik betrifft einfach eine viel größere Zahl von Leuten in unterschiedlichen Lebenssituationen. Und jeder erwartet, sicher zu Recht, dass Sie jederzeit bei jedem Thema auf dem neuesten Stand sind. Gleichzeitig muss man als Ministerin ziemlich viele Kompromisse machen, wo man als Unternehmerin einfach entscheiden würde. Daran musste ich mich auch erst gewöhnen. Eine Ministerin regiert nicht einfach durch, auch wenn manche das vermutlich denken. Dennoch: Ich bin der Überzeugung, dass man in der Politik gestalten und ziemlich viel zum Positiven bewegen kann. Das versuche ich. Den Schritt in die Politik habe ich bisher nicht bereut.
Interview: Torsten Laudien