Lesedauer: 5 Minuten

Leise Stärke – wie Führungskräfte
Introvertierte besser fördern können

Potenziale erkennen und nutzen

Nicht alle Beschäftigten im Unternehmen sind „Lautsprecher“. Viele sind eher zurückhaltend und neigen nicht dazu, sich in den Vordergrund zu spielen. Das sind introvertierte Menschen. Auch sie haben ihre Stärken, die es im Unternehmen zu heben gilt. Unsere Gastautorin Ricarda Colditz dazu. Seit Jahren beschäftigt sie sich mit diesem Thema und hat dazu im ihrem eigenen Verlag Bücher veröffentlicht. In ihrem Gastbeitrag beleuchtet Frau Colditz die Frage, wie Führungskräfte das Potenzial introvertierter Mitarbeitender erkennen und nutzen können.

 Foto: AdobeStock

Die Tür zum Büro flog auf und der Werkleiter sagte mit laut fordernder Stimme: „Frau Colditz, kommen Sie mal mit in mein Büro.“ Da ich mit dem Rücken zur Tür saß, zuckte ich regelrecht zusammen. Völlig aus meiner Arbeit und meinen Gedankengängen herausgerissen, folgte ich ihm also in sein Büro. Da saßen bereits der Personalleiter und mein direkter Vorgesetzter. Erst als ich mich gesetzt hatte, erfuhr ich, worum es ging.

Das Thema dieser Besprechung war zwar für das Unternehmen wichtig, aber hätte nicht so ad hoc stattfinden müssen. Denn es ging darum, welche von zwei internen Kandidatinnen als Nachfolgerin für meine Position besser geeignet wäre (ich hatte aus familiären Gründen gekündigt). Völlig unvorbereitet saß ich nun da, während der Werkleiter mir erzählte, welche Kandidatin er bevorzugen würde. Ich kam kaum zu Wort und konnte nur nicken.

Zurück in meinem Büro war es, als würde ich aus einem bösen Traum aufwachen. Was war hier gerade passiert? Natürlich fielen mir danach alle Argumente ein, warum eigentlich die andere Kandidatin besser geeignet wäre. Also formulierte ich meine Gedanken in einer freundlichen E Mail, die ich an alle drei Beteiligten schickte. Lei der überschlug sich die Kommunikation, es gab Telefonate, die ich nicht mitbekam – und schließlich brüllte der Werkleiter (wieder von hinten): „Frau Colditz, wie können Sie es wagen, hinter meinem Rücken eine E-Mail an den Personalchef zu schreiben?“

Ich habe mich damals so über diesen Vorfall geärgert, dass ich ihn oft als Negativbeispiel nutze, denn all das hätte verhindert werden können, wenn ich rechtzeitig über die geplante Besprechung informiert worden wäre. Heute, viele Jahre später, würde mir das so nicht mehr passieren, denn inzwischen weiß ich, wie ich besser hätte agieren und reagieren können. Als leise Mutmacherin ist es unter anderem mein Ziel, über Introversion im Job aufzuklären.

 

Was Introversion wirklich bedeutet

Der Begriff Introversion geht auf Carl Gustav Jung zurück. Ein introvertierter Mensch richtet seine Aufmerksamkeit eher nach innen – auf Gedanken, Gefühle und Reflexion. Es ist auch eine Frage der Energiegewinnung: Intro vertierte „laden ihre innere Batterie“ eher in der Stille auf, während Extrovertierte durch sozialen Austausch Kraft tanken. Die Persönlichkeit ist jedoch vielschichtig und jeder trägt introvertierte und extrovertierte Anteile in sich.

Und: Introversion ist nicht gleichzusetzen mit Schüchternheit, Sozialangst oder mangelnder Kommunikationsfähigkeit. Viele Introvertierte sind sehr kontaktfreudig. Sie bevorzugen lediglich tiefere Gespräche in kleineren Gruppen und benötigen mehr Zeit zur Verarbeitung.

Warum Introversion in Unternehmen zählt

Leider gilt in vielen Unternehmenskulturen bis heute Extrovertiertheit als Ideal: Wer schnell spricht, sich oft äußert und präsent ist, gilt als kompetent. Dabei bringen Introvertierte genau das ein, was in komplexen, dynamischen Zeiten besonders gefragt ist: Sorgfalt, Tiefe und kreative Lösungen. Ihre Stärken liegen in analytischem Denken, konzentrierter Einzelarbeit, detailgenauer Planung und aktivem Zuhören. Für Führungskräfte ist es wichtig zu erkennen, dass Intros und Extros ihre eigenen Stärken haben. Eine gute Mischung aus verschiedenen Persönlichkeiten erhöht die Innovationskraft eines Teams.

 

Wie Führungskräfte Introvertierte unterstützen können

1. Raumgestaltung
In offenen Bürolandschaften sind viele Reize gleichzeitig aktiv: Grelles Licht, ständig klingelnde Telefone, gleichzeitig stattfindende Konversationen oder andere Geräusche können Introvertierte durch eine Überstimulierung stressen und ihre Leistung mindern. Führung bedeutet hier auch, Ruhezonen und Rückzugsmöglichkeiten zu schaffen, die konzentriertes Arbeiten ermöglichen. Dazu zählt auch die Möglichkeit von Homeoffice.

2. Aufgaben passend zuordnen
Introvertierte arbeiten oft lieber allein oder in Zweiergruppen. Ihre Gründlichkeit macht sie zu idealen Ansprechpartnern für Aufgaben, die Sorgfalt, Datenanalyse oder schriftliche Ausarbeitung erfordern.

3. Eins-zu-eins-Gespräche führen
Im direkten Austausch lassen sich viele Ideen, Sorgen und Vorschläge erfahren, die in großen Runden verborgen bleiben. Diese Gespräche fördern Vertrauen und eröffnen Entwicklungsmöglichkeiten. Introvertierte stellen ihre Leistungen selten selbst in den Mittelpunkt. Umso wichtiger ist es, dass Führungskräfte diese im Anschluss wertschätzend sichtbar machen, zum Beispiel im Team oder in Feedback-Runden.

4. Zeit für Entscheidungen lassen
Durch das Setzen von realistischen Fristen haben auch Introvertierte Zeit zur Reflexion, um fundierte Entscheidungen zutreffen. Hierzu zählt auch (gerade im Homeoffice) Anrufe anzukündigen, damit nicht spontan reagiert werden muss.

 

Eine Meeting-Kultur fördern, die Introvertierten gerecht wird

Auf einige unternehmerische Rahmenbedingungen wie zum Beispiel die bauliche Gestaltung von Räumen haben Führungskräfte wenig Einfluss. Daher zeigt sich gute Führung besonders in der Gestaltung von Besprechungen, damit wirklich alle Stimmen gehört werden.

1. Vorbereitung ist alles
Mit einer klaren Agenda vorab können sich alle vorbereiten und überlegen, ob und wie sie etwas beitragen möchten. Schriftliche Rückmeldemöglichkeiten (zum Beispiel Online-Formulare bei hybriden Meetings) ergänzen mündliche Diskussionen.

2. Strukturierte Moderation
Eine gute Moderation achtet auf ausgewogene Redeanteile. Das gezielte Ansprechen von ruhigeren Personen, kurze Denkpausen oder Kleingruppen-Austausch können helfen, mehr Perspektiven einzubeziehen. Viele Intros fühlen sich in der Moderatorenrolle wohl, weil sie dann weniger das Gefühl haben, selbst im Mittelpunkt zu stehen.

3. Kommunikation flexibel gestalten
Nicht alle Angestellten äußern sich gern spontan in großen Runden. Deshalb sollten Führungskräfte auch schriftliche Kanäle anbieten, Brainstormings mit Vorlauf planen oder gleich Brainwriting (schriftliches Ideensammeln) vorschlagen. Gerade kreative oder strategische Ideen und tiefere Impulse brauchen Zeit.

4. Teilnehmerzahl reduzieren
Introvertierte bringen sich lieber in vertrauten Kleingruppen ein als vor einem großen Team. Ideen können punktuell auch in kleinen Gruppen ausgearbeitet werden.

5. Nachbereitung einplanen
Nicht alles entsteht in der Besprechung selbst. Ein Follow-up per Mail oder in der nächsten 1:1-Sitzung kann weitere Gedanken einholen und zeigt, dass jede Meinung zählt.

Mein Fazit

Mein Fazit

Ricarda Colditz

 

Wenn Introvertierte nur zu einem Rhetorikkurs geschickt werden, greift das zu kurz. Sie wollen nicht „lauter gemacht“, sondern auf ihre Weise gesehen und gehört werden. Alle Tipps, Tools und Taktiken stoßen an Grenzen. Wer als Führungskraft den Mut hat, mit etwas Menschlichkeit und Persönlichkeit lieber Räume zu öffnen statt zu füllen, wer zuhört, statt vorschnell zu urteilen, und wer Meetings nicht als Bühne, sondern als Dialog begreift, wird das Potenzial der Introvertierten erkennen. (rc)

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