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Gastbeitrag: Berufliche Bildung erneuern für die automobile Transformation (BeaT)
Resilienz ist eine Teamleistung
Oder: Warum die Entwicklung einer Weiterbildungskultur entscheidend für Unternehmen in der Transformation ist
Das Projekt BeaT ist ein Verbundprojekt zwischen dem Fraunhofer-Institut für Keramische Technologien und Systeme, der Friedrich-Schiller-Universität Jena und dem automotive thüringen e.V. gefördert vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Dr. Stefanie B. Seitz und Thomas Rehfeld stellen das Projekt und die daraus gewonnen Erkenntnisse näher vor.
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Bei kaum einem Thema brennt es zurzeit so sehr wie beim Fachkräftemangel. Nicht nur perspektivisch muss ein Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials von 15 Prozent bis 2030 abgefedert werden, sondern schon jetzt plagen die Unternehmen in Thüringen sehr hohe Vakanzzeiten bei der Belegung von Stellen. Daneben stecken der Industrie noch immer die Nachwirkungen der Corona-Pandemie in den Knochen und die noch nicht überwundenen Materialengpässe sowie steigende Energiepreise tun ein Übriges.
Strukturwandel inmitten der Krisen
Doch damit nicht genug: Inmitten all dieser Krisenmomente findet zusätzlich ein tiefgreifender Strukturwandel statt, der keinen unberührt lässt. Gemeint ist die Dekarbonisierung der Industrie, die darauf abzielt, die Produktion klimaneutral zu gestalten und so den CO2-Fußabdruck der Produkte auf ein Minimum zu reduzieren. BeaT
Das Projekt „Berufliche Bildung erneuern für die automobile Transformation“ (BeaT) ist vor anderthalb Jahren angetreten, Gestaltungsmöglichkeiten für die Transformation in der Automobil- und Zulieferindustrie mittels betrieblicher Weiterbildung auszuloten. Die Automobilindustrie wurde als Forschungsgegenstand gewählt, weil sie nicht nur ihre Produktion anpassen muss, sondern sich in Teilen auch ihre Produkte und Geschäftsmodelle radikal verändern. Die Umstellung auf batterieelektrische und weitere alternative Antriebsformen sowie die Digitalisierung im Fahrzeug bedeutet in einigen Fällen den radikalen Einbruch ganzer Produktpalletten. Unternehmen müssen zukunftsfähige Alternativen finden und sich darauf mit ihren Belegschaften einstellen können. Wie die aktuelle Situation in diesem Bereich ist, haben wir in über 80 Interviews erhoben. Neben Expert*innen aus Interessensvertretungen, Bildung und Wissenschaft haben wir vor allem auch mit Menschen aus mehr als 20 Thüringer Unternehmen gesprochen. Dabei wurden sowohl das Management als auch die Beschäftigten selbst oder ihre Vertretungen gehört.
KMU prägen die Branche
Geprägt ist der Thüringer Automotive-Sektor vor allem durch kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) sowie durch Produktionswerke internationaler Unternehmen. Sie befinden sich in engen Zulieferbeziehungen zu anderen Zulieferunternehmen bzw. zu den Original End Manufacturers (OEM). Durch die Umstellung auf E-Mobilität wird dieses Geflecht umgewälzt und die Lieferbeziehungen verschieben sich teilweise drastisch. Nicht zuletzt sinkt auch die Teileanzahl beim E-Auto um 50 Prozent im Vergleich zum Verbrennungsmotor. Damit steigen der Preisdruck und der Wettbewerb um die Aufträge durch die OEMs, die durch die allgemeine Situation auf kurzfristigere Planungshorizonte ausgerichtet sind, enorm. Sofern kann es schwerfallen, in diesem volatilen Umfeld grundlegende strategische Entscheidungen zu treffen. Während Geschäftsführungen von KMU eher durch einen Mangel an Ressourcen (Zeit für intensive Strategieprozesse, Know-how und Fachpersonal zur Umsetzung) behindert werden, haben Werksleitungen von Produktionswerken durch ihre Position in der Konzernstruktur nur sehr eingeschränkte Gestaltungspielräume.
Personalengpässe überall erkennbar
Die automobile Transformation ließ in der Vergangenheit bange auf die Arbeitsplatzsicherheit schauen: Ob das Beschäftigungspotenzial in der Thüringer Automobilindustrie sinken oder steigen wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht abzusehen. Die aktuelle Situation ist allerdings maßgeblich durch den Fachkräftemangel geprägt, der an allen Ecken und Enden Personalengpässe erkennen lässt. Hierdurch ist vor allem zu erklären, was eine wichtige Erkenntnis des Projektes ist: Es wird wohl nicht weniger Beschäftigung geben, aber es werden neue Qualifikationen benötigt!
Weiterbildung ist also ein wesentliches Element bei der Bewältigung der Transformation. Aber aktuell wird dieses Instrument nur selten systematisch eingesetzt. Warum ist das so? In den Interviews hörten wir von einer paradoxen Situation: Die Auftragsbücher sind trotz unsicherer Zukunftsaussichten gut gefüllt und jede Hand wird bei der Arbeit gebraucht, um nicht noch mehr Rückstand aufzubauen. Oft sind auch strategische Entscheidungen, wie das Unternehmen auf die Transformation konkret reagiert, noch nicht getroffen. So mag man auch nicht in Weiterbildung investieren und beschränkt sich auf gesetzlich vorgeschriebene und wirklich unumgängliche für ausgewählte Mitarbeitende.
Eine weitere zentrale Erkenntnis des Projekts liegt darin, dass ein wichtiger Faktor für die Krisenfestigkeit von Unternehmen – heute gern mit den Buzzword „Resilienz“ überschrieben – in der im Unternehmen gelebten Kultur liegt. Ein wesentliches Merkmal einer solchen Kultur sollte sein, dass sich die Mitarbeitenden für ihren Beitrag zum Erfolg des Unternehmens wertgeschätzt fühlen und ihre Bedürfnisse ernstgenommen werden. Auch Transparenz und Mitgestaltungsmöglichkeiten der Beschäftigten gehören dazu. Dies ist die Basis für Verantwortungsbewusstsein und Loyalität der Mitarbeitenden, welche die notwenige Motivation, an der Transformation mitzuwirken, bei ihnen freisetzt.
Mitarbeitende in der Produktion brauchen Wissen
Weiterbildungsmaßnahmen spielen hierbei eine wichtige Rolle: Gerade Mitarbeitende in der Produktion erhalten deutlich weniger Möglichkeiten dazu als jene aus dem Administrations- und Managementbereich. Aber gerade sie brauchen Wissen, um die Veränderungen einordnen und mittragen zu können, ebenso wie Unterstützung im Umgang mit den neuen Technologien von Digitalisierung und Automatisierung, die im Zuge der Transformation verstärkt eingeführt werden. Unternehmen sind also gut beraten, eine eigene „Weiterbildungskultur“ zu entwickeln. Dazu gehört es, sich einen systematischen Überblick über Qualifikationen, Kompetenzen und Entwicklungspotenziale zu verschaffen, aber auch regelmäßig Weiterbildungsangebote für alle Beschäftigtengruppen zu machen; insbesondere zur Stärkung von Kompetenzen im Umgang mit digitalen Technologien, in der fachübergreifenden Zusammenarbeit und zur kreativen Problemlösung. Auch unterstützende Strukturen wie gesicherte Lernzeiten, Weiterbildungslotsen und die Zusammenarbeit mit externen Bildungspartnern haben sich als förderlich erwiesen. Denn wenn Lernen positiv konnotiert und selbstverständlicher Teil der Arbeit ist, können Unternehmen mit ihren Belegschaften schneller auf die qualifikatorischen Anforderungen der Transformation reagieren – und das trotz Fachkräftemangel!
Weitere Informationen zu den Ergebnissen und Angeboten finden Sie hier: www.beat-learning.info