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Diagnostik mit künstlicher Intelligenz und Grenzen der KI
Transformation in der Medizin
Die Herzmedizin hat sich in den vergangenen vier Jahrzehnten enorm entwickelt. Ebenfalls vier Jahrzehnte lang arbeiten Dr. Thomas Kuntze, Klinik für Herzchirurgie, und Prof. Harald Lapp, Klinik für Kardiologie und Internistische Intensivmedizin, als Ärzte. Die beiden Chefärzte am Herzzentrum der Zentralklinik Bad Berka sprechen über Künstliche Intelligenz und den Nutzen in der Medizin.

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Übernimmt die Künstliche Intelligenz bald die Arbeit der Ärzte?
Kuntze: Bei der Diagnostik, der Auswertung von Bildern, ist die KI uns im Moment schon in Teilbereichen überlegen. Wir haben auch modernste Diagnostikgeräte und smarte Bildgebung. Da sind schon viele KI-Funktionen integriert – eine explosionsartige Entwicklung, die sich auch von Jahr zu Jahr so fortsetzen wird. Das heißt, vieles, wo man früher lange Zeit als Radiologe, als Kardiologe oder auch mal als Herzchirurg vor den Bildern gesessen, gemessen und ausgewertet hat, nimmt uns heute in Sekundenschnelle die KI ab.
Wir können unsere Zeit viel effektiver nutzen, um dann wichtige Schlussfolgerungen zu ziehen und praktisch zu therapieren, also Interventionen oder Operationen durchzuführen.
Was die KI nicht ersetzen kann, ist ein hochprofessionelles Team, bestehend aus Kolleginnen und Kollegen mehrerer Fachrichtungen, die dort mit ihrer Erfahrung eng zusammenarbeiten und dann wirklich das Optimale für den Patienten erreichen wollen. Ich meine Ärzte, Pflegekräfte, operationstechnische Teams.

Dr. Thomas Kuntze | Foto: © Delf Zeh/ZBB

Prof. Harald Lapp | Foto: © Delf Zeh/ZBB
Lapp: Es gibt Dinge, die wohl nur die KI kann. Zum Beispiel gibt es gute Untersuchungen, die zeigen, dass man einer KI das Passfoto eines Menschen zeigen kann und die KI sagt mit extrem hoher Trefferwahrscheinlichkeit voraus, ob der Mensch jetzt eine relevante koronare Herzerkrankung hat. Am Ende imitiert es das, was wir als erfahrene Kliniker auch jetzt schon leben. Als erfahrener Arzt verarbeitet man in kurzer Zeit so viele Impulse und Informationen. Das kann die KI reproduzieren, wahrscheinlich auch besser als jeder Mensch.
Gibt es etwas, was Künstliche Intelligenz nicht leisten kann?
Kuntze: In der Diagnostik wird KI fast alles leisten können, was wir uns im Moment noch gar nicht vorstellen können. Das, was wir vielleicht mit viel Erfahrung bewusst oder unbewusst registrieren und dann in Verbindung setzen, dafür kann KI systematisch trainiert werden – nicht an 100 Erkrankten, sondern an Zehntausenden. Letztlich hat die generative KI tatsächlich das Potenzial, komplexe Zusammenhänge schnell zu erkennen. Dazu sind wir als Menschen nicht in diesem Umfang und mit der enormen Geschwindigkeit in der Lage.
Früher hat man oft von „Big Data“ gesprochen, schon, als es den Begriff KI noch nicht gab. Ein klassisches Beispiel sind die verschiedensten Arten der Überwachung von Körperfunktionen, auch durch die Smartwatches. Das ist ein Thema, mit dem ich mich gerne beschäftigt habe.
So gelingt es großen Firmen, viele Millionen Menschen ständig in der Überwachung zu haben, wo 24 Stunden lang verschiedene Körperparameter registriert werden. Da wird nicht nur die Herzfrequenz oder das EKG aufgezeichnet, es wird auch die Herzfrequenz-Variabilität gemessen oder die Sauerstoffsättigung, und all diese Größen werden zueinander in Beziehung gesetzt. Das wäre jetzt gar nicht spannend, wenn man das bei zehn Personen misst und untersucht. Aber wenn man Messwerte von zehn Millionen Menschen hat und diese in Beziehung zu anderen Daten setzen kann, ist es erstaunlich, wie gut die entstehenden Algorithmen sind und wie hoch deren Treffsicherheit wird.
Lapp: Das ist ein ganz spannendes Thema. Wir sind da nicht immer einer Meinung. Also ich habe eine analoge Uhr, die muss ich jeden Morgen noch mechanisch aufziehen. Die sagt mir nicht, wie ich geschlafen habe. Wozu will ich all diese Daten wissen? Als Individuum, aber natürlich als Gesellschaft als Ganzes, kann ich natürlich Risikofaktoren herausarbeiten, mit denen ich noch lernen muss, umzugehen. Aber das ist eine ganz andere Diskussion.
Kuntze: Ich sehe Vorteile bei diesen Uhren, will aber nicht missionieren. Für Menschen, die gesundheitsbewusst leben, ist es ein zusätzliches Instrument, das den Weg zu einer gesunden Lebensweise durch Feedback über die Uhr erleichtert. Wenn man abends ein bisschen zu viel Alkohol getrunken hat, dann ist das, was man auf der Uhr sieht, mitunter schon dramatisch, sodass einem bewusst wird, man muss sein Verhalten ändern. Man sieht, dass die Herzfrequenz-Variabilität stark abnimmt und die Schlafrhythmik komplett kaputtgeht.
Interview: Anke Geyer