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Willkommen im Land der grenzenlosen Perspektiven
Region im Profil: Die Thüringer Rhön
Im Südwesten Thüringens gibt es eine Region, die leider immer noch unter dem Radar fliegt – die Thüringer Rhön. Dabei ist sie ist im wahrsten Sinne des Wortes das Land der grenzenlosen Perspektiven. An den Thüringer Teil grenzen die bayrische und die hessische Rhön an. Martin Henkel ist Vorsitzender des Vorstands des Rhönforum e.V. Der Landtags – abgeordnete ist Rhöner mit Leib und Seele – also der vielleicht beste Interviewpartner, um die Thüringer Rhön vorzustellen.
Foto: stock.adobe.com, privat
Herr Henkel, der Volksmund weiß, dass es in der Rhön schön ist. Aber was hat sie – außer touristischen Highlights – wirtschaftlich zu bieten?
Die wirtschaftliche Stärke der Rhön wird oft unterschätzt. Dabei liegt sie äußerst zentral – mitten in Deutschland und im Herzen Europas. Diese Lage bringt viele Vorteile mit sich, insbesondere für Unternehmen. Verkehrstechnisch ist die Region gut angebunden: Die Autobahnen A4, A7 und A71 umrahmen die Rhön und ermöglichen eine schnelle Erreichbarkeit. Über gut ausgebaute Bundesstraßen gelangt man direkt in die Region hinein.
Entlang dieser Verkehrsachsen haben sich seit der deutschen Wiedervereinigung zahlreiche kleine und mittelständische Unternehmen angesiedelt. Besonders stark vertreten sind Branchen wie Metallverarbeitung, Kunststofftechnik, Elektronik und Elektrotechnik sowie die Holzverarbeitung. Auch das Handwerk und das Baugewerbe haben hier eine solide Basis.
Zudem sind viele der hier ansässigen Unternehmen national und international tätig. Gerade im Bereich Elektronik, Bautechnik und Gebäudeausstattung gibt es Firmen, deren Produkte europaweit und weltweit vertrieben werden. Ein beeindruckendes Beispiel ist der größte Generalunternehmer für Tankstellen in Deutschland – ebenfalls mit Sitz in der Rhön. Wahrscheinlich ist vielen gar nicht bewusst, dass ein Großteil der Tankstellen in Deutschland von einem Rhöner Bauunternehmen errichtet
wurde – genauso wie die vor zwei Jahren eröffnete größte Elektrotankstelle Deutschlands. Auch sie wurde von einem innovativen, zugleich bodenständigen Unternehmen aus der Rhön geplant und gebaut.
Nicht zuletzt im Bereich Recycling gibt es weitere Vorreiter im Thüringer Teil der Rhön, zum Beispiel beim Aufbereiten von Edelmetallen aus industriellen Rückständen. Industrieanlagen und -maschinen zu modernisieren und damit fit zu machen für die digitale Welt, Retrofit genannt, ist ein weiteres ressourcenschonendes Know-how aus unserer Rhön, das an Bedeutung zunehmen wird.
Was die Rhön zusätzlich auszeichnet, ist die gelungene Verbindung von Lebensqualität und Arbeitswelt: Familien finden hier einen naturnahen, bezahlbaren Lebensraum – verbunden mit der Möglichkeit, in der Region qualifizierte Arbeitsplätze zu finden. Genau diese Mischung macht die Rhön so attraktiv – nicht nur zum Urlaubmachen, sondern auch zum Leben und Arbeiten.
Eine Region lebt immer von den Menschen, die dort leben und arbeiten. Beschreiben Sie uns bitte die Wesensart der Rhönerinnen und Rhöner?
Da ich selbst Rhöner bin, fällt es mir leicht, diese Frage mit einem Lächeln zu beantworten – denn ich bin wirklich überzeugt von den Menschen hier. Was die Rhön besonders macht, ist nicht nur ihre Lage im Dreiländereck, sondern auch die Vielfalt, die sich daraus ergibt. Wenn ich Richtung Osten unterwegs bin, werde ich oft gefragt, ob ich aus Hessen komme. In den westlichen Bundesländern fragt man eher: „Sind Sie Thüringer, Hesse oder Bayer?“ – und die ehrliche Antwort ist: wahrscheinlich alles ein bisschen. Die Rhön liegt eben mittendrin.
Die Menschen in der Rhön gelten als herzlich, bodenständig und offen. Sie sagen, was sie denken – direkt, ehrlich und ohne Umschweife. Diese geradlinige Art prägt das Miteinander ebenso wie ein starkes Gemeinschaftsgefühl und ein verlässlicher Zusammenhalt. Genau das macht die Region auch menschlich so besonders – und das spüren nicht nur die touristischen Gäste, sondern auch diejenigen, die wirtschaftliche Beziehungen in die Rhön pflegen. Auf das Wort eines Rhöners kann man sich eben verlassen.
Foto: Henry Czauderna
Blicken wir kurz in die Vergangenheit. Der Freistaat Thüringen hat die Rhön über viele Jahre mit viel Geld unterstützt. Das ist 2015 ausgelaufen – also vor zehn Jahren. Was hat diese Landesförderung für die Thüringer Rhön gebracht?
Zwischen 1990 und 2015 hat sich der Freistaat Thüringen stark für die Entwicklung der Rhön engagiert. Besonders hervorzuheben ist das Wirken der Landesentwicklungsgesellschaft Thüringen (LEG) und ihrer Tochter gesellschaft ESW. Sie haben gezielt kleinere und mittlere Gewerbegebiete im ländlichen Raum erschlossen, was maßgeblich zur Ansiedlung von Unternehmen beigetragen hat. So entstanden nicht nur neue Arbeitsplätze, sondern auch wichtige Steuer ein – nahmen für die Kommunen – Einnahmen, die viele Gemeinden nutzen konnten, um sich infrastrukturell und wirtschaftlich weiterzuentwickeln. Gute Beispiele für diese erfolgreiche Förderung finden sich in Geisa, Vacha, Sünna, Dermbach, Stadtlengsfeld, Kaltennordheim, Kaltensundheim sowie im Bereich Merkers. Diese gezielte Strukturförderung war ein wichtiger Impuls für die Region – und hat ihre Wirkung nicht verfehlt.
Leider hat sich die LEG im Jahr 2015 aus dem ländlichen Raum vollständig zurückgezogen. Die damalige rot-rotgrüne Landesregierung hat den Fokus seither fast ausschließlich auf großflächige Gewerbeansiedlungen entlang der Autobahnen gelegt. Aus meiner Sicht war das ein Fehler – denn es schwächt nicht nur die Entwicklungsperspektiven des ländlichen Raums, sondern führt vor Ort auch regelmäßig zu übermäßigen Belastungen, Fachkräftemangel und wachsendem Widerstand in der Bevölkerung. Die Thüringer Rhön erhielt ebenfalls wie weitere Regionen in Thüringen ein Regionalbudget zur Entwicklung touristischer Themen, fachlicher Netzwerkarbeit und Marketing im Kontext zur länderübergreifenden Kooperation in der Rhön, das 2015 endete. Darauf aufbauend sind weitere Ideen und Vorhaben auf den Weg gebracht worden.
Was erwarten Sie von der Landesregierung? Muss es jetzt zu einer Korrektur kommen?
Die Landesregierung hat ein klares Bekenntnis zum ländlichen Raum abgegeben – und das ist ein wichtiges und richtiges Signal. Jetzt muss diesem Anspruch aber auch konkretes Handeln folgen, insbesondere im Bereich der Wirtschaftsförderung. Da zu gehört aus meiner Sicht ganz wesentlich, dass sich die Landesentwicklungsgesellschaft Thüringen (LEG) auch wieder im ländlichen Raum engagiert – so wie es in der Vergangenheit erfolgreich praktiziert wurde. Städte und Gemeinden in der Rhön dürfen mit der Erschließung von Gewerbeflächen nicht länger allein gelassen werden. Nur wenige Orte – wie Geisa, Vacha oder Sünna – konnten in den letzten Jahren aus eigener Kraft neue Gewerbeflächen entwickeln. Doch solche Beispiele sind selten geworden.
Wirtschaftliche Impulse dürfen sich nicht allein auf Autobahnstandorte konzentrieren. Die damit verbundene Verdichtung führt oft zu übermäßigen Belastungen, verschärft den Fachkräftemangel und ruft Widerstände in der Bevölkerung hervor. Wertschöpfung muss auch in der Fläche stattfinden – für regionale Arbeitsplätze, kürzere Pendelwege, mehr Klimaschutz und stabile Gemeinden.
Dafür setze ich mich mit Nachdruck ein – nicht nur als Vorsitzender des Rhönforums, sondern auch als stellvertretender Vorsitzender der CDUFraktion im Thüringer Landtag und als wirtschaftspolitischer Sprecher meiner Fraktion. Der ländliche Raum braucht eine starke Stimme – und eine Politik, die ihn nicht aus dem Blick verliert.
Blick über die Stadt Vacha | Foto: hecke71 stock.adobe.com
Sie stehen einem der geförderten Projekte vor: dem Rhönforum e.V. Beschreiben Sie uns bitte die Aufgaben und die Tätigkeit des Vereins.
Zunächst möchte ich eine kleine Korrektur anbringen: Der Rhönforum e. V. wurde als Organisationsstruktur für den Thüringer Teil der Rhön in der Vergangenheit tatsächlich vom Freistaat Thüringen gefördert – das ist jedoch seit einigen Jahren nicht mehr der Fall. Heute finanziert sich das Rhönforum fast ausschließlich über die Beiträge seiner Mitglieder – das sind Städte und Gemeinden der Thüringer Rhön, Unternehmen aus der Region sowie die beiden Rhön-Landkreise Wartburgkreis und Schmalkalden-Meiningen. Und genau hier beginnt unsere Forderung an das Land: Es kann nicht sein, dass man die Region bei ihrer wirtschaftlichen und regionalen Entwicklung weitgehend allein lässt. Aufgrund der ländlichen Struktur, der ehemaligen Grenzlage und der notwendigen nachhaltigen Entwicklung eines besonderen Naturraumes sind eine Vielzahl von zusätzlichen Aufgaben zu lösen, um alles in Einklang zu bringen und eine Zukunftsfähigkeit zu erreichen. Neben Interessenvertretung der Region nach innen und außen, die Beratung und Unterstützung bei neuen Ideen und Projekten in der Region ist dabei die
Kommunikation eine wichtige Aufgabe des Vereins.
Wer ein Land ganzheitlich entwickeln will, kann das nicht nur aus der Landeshauptstadt heraus leisten. Es braucht auch vor Ort kleine, aber schlag kräftige Strukturen wie den Rhönforum e.V., welcher regionale Projekte koordiniert, Netzwerke aufbaut und gezielt Impulse setzt. Vor rund zehn Jahren konnten wir über das Rhönforum ein groß angelegtes Konzept im Rahmen der GRW-Förderung umsetzen, bei dem über zehn Millionen Euro Fördermittel von EU und Freistaat Thüringen in den Ausbau der touristischen Infrastruktur der Rhön geflossen sind. Die bisherige Unterstützung reicht bei weitem nicht aus. Die Thüringer Rhön braucht weitere Großprojekte und Unterstützung der Standortentwicklung und -vermarktung – und dafür werben wir auch nachdrücklich beim Freistaat. Mit dem Rhönforum e. V. existiert eine Organisationsstruktur, die Regionalentwicklung und touristische Entwicklung landkreisübergreifend in Kooperation mit Partnern in Thüringen und im Kontext zur Gesamtrhön auch künftig weiter voranbringen kann. Dabei sind zwei Land kreise, alle Kommunen der Thüringer Rhön und wichtige Partner mit im Boot. Vorhaben werden mehrheitlich abgestimmt, um eine zukunftssichernde Entwicklung voran zu bringen.
Gerade im Vergleich zur bayerischen und hessischen Rhön wird deutlich, wie groß der Rückstand immer noch ist: In beiden Bundesländern wurde über Jahrzehnte hinweg massiv in touristische Infrastruktur investiert, aber auch die personelle Ausstattung gefördert. Die Thüringer Rhön hingegen ist bei diesen Themen in den vergangenen zehn Jahren deutlich ins Hintertreffen geraten. Das muss sich dringend ändern – und das Rhönforum als Verein für Regionalentwicklung und Tourismus Thüringer Rhön e. V. steht bereit, hier als kompetenter regionaler Partner wieder Verantwortung zu übernehmen.
Ich nehme Ihr Stichwort auf. Die Thüringer Rhön ist nur ein Teil der Rhön. Sie erstreckt sich auch nach Hessen und Bayern. Wie läuft die Zusammenarbeit mit den Nachbarn?
Gott sei Dank gehört die innerdeutsche Grenze, die einst Familien, Wirtschaft und ganze Regionen voneinander getrennt hat, der Vergangenheit an. Seit nunmehr 35 Jahren ist sie verschwunden – und gerade in der Rhön zeigt sich eindrucksvoll, was gelebte deutsche Einheit bedeuten kann. Die Menschen pendeln täglich über Ländergrenzen hinweg, es gibt enge wirtschaftliche und familiäre Verbindungen – in beide Richtungen.
Zwischen Städten, Gemeinden und Landkreisen besteht ein regelmäßiger Austausch auf kommunaler und politischer Ebene. Ein besonders schönes Beispiel für die Zusammenarbeit ist das regionale Energieversorgungsunternehmen Überlandwerk Rhön, das sich über die gesamte Rhön erstreckt und im Eigentum der Kommunen und Landkreise liegt – über Landesgrenzen hinweg. Es versorgt die Menschen in der gesamten Region mit Energie und steht sinnbildlich für funktionierende interregionale Kooperation. Darüber hinaus gibt es viele weitere Formen der Zusammenarbeit – etwa in der Wirtschaft, im Tourismus oder im Kulturbereich. Besonders prägnant wird die gewachsene Verbundenheit auch im kirchlichen Raum sichtbar: So gehören Teile der Thüringer Rhön zum Bistum Fulda – ein deutliches Zeichen dafür, dass die Rhön über Landesgrenzen hinaus eine kulturelle und gesellschaftliche Einheit bildet.
Die Rhön ist in vielerlei Hinsicht ein gelungenes Beispiel für echte, gelebte Einheit – über drei Bundesländer hinweg. Und das ist keine Selbstverständlichkeit, sondern ein Ergebnis jahrzehntelanger gemeinschaftlicher Arbeit und eines starken regionalen Zusammenhalts. Auch hier hat der Rhönforum e. V. aktiv mitgewirkt.
Eine letzte Frage an Sie als Rhöner, Herr Henkel: Interessierte können sich natürlich im Netz einen Überblick darüber verschaffen, was man in der Region erleben sollte. Aber nichts geht über den Tipp eines Insiders. Haben Sie einen Geheimtipp für unsere Leserschaft?
Ein Geheimtipp im klassischen Sinne ist es vielleicht nicht mehr – aber eine echte Empfehlung aus Überzeugung. In den vergangenen Jahren haben wir als Rhönforum in enger Zusammenarbeit mit den Gemeinden dafür geworben, qualitativ hochwertige Wanderwege, die sogenannten „Extratouren“, zu schaffen. Diese Rundwanderwege sind vom Deutschen Wanderinstitut zertifiziert und zeichnen sich durch besonders abwechslungsreiche Streckenführung, landschaftliche Vielfalt und eindrucksvolle Fernsichten aus – ganz im Sinne der Rhön als „Land der offenen Ferne“. Sie verbinden Naturerlebnis mit Wissenswertem über die regionale Geschichte und Kultur – das macht das Wandern hier nicht nur schön, sondern auch sinnstiftend.
Ein weiterer Ort, den ich sehr ans Herz lege, ist die Gedenkstätte Point Alpha – ein ehemaliger US-Stützpunkt an der früheren innerdeutschen Grenze. Hier lässt sich eindrucksvoll nachvollziehen, was Teilung, Kalter Krieg und schließlich Wiedervereinigung für unser Land bedeutet haben. Gerade in einer Zeit, in der militärische Konflikte wieder in Europa präsent sind, ist es wichtig, sich der Werte von Frieden, Freiheit und Demokratie bewusst zu werden. Point Alpha ist dafür ein ganz besonderer Lernort. Die Geschichte beider Seiten, ob militärische Basis der US-Armee oder das Leben an der Grenze in der ehemaligen DDR mit mancher dramatischen Grenz-Flucht wird sowohl durch vorhandene Infrastruktur als auch multimedial eindrucksvoll vermittelt. Denn wer die Zukunft mitgestalten will, sollte auch die Geschichte kennen.
Die Spuren der deutschen Teilung sind in der Rhön noch gegenwärtig.| Foto: boedefeld1969 – stock.adobe.com
