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Dr. Martina Doehler-Behzadi: „Nicht der eine große Wurf ist das Ziel, sondern viele kleine Schritte“

Interview mit IBA-Geschäftsführerin

In diesen Wochen geht in Thüringen ein Ereignis zu Ende, das in Fachkreisen auch international Beachtung gefunden hat: die Internationale Bauausstellung (IBA) Thüringen. Das Projekt dauerte immerhin zehn Jahre. Da stellt sich die Frage, was es gebracht hat – vor allem aber, was davon bleiben wird. IBA-Geschäftsführerin Dr. Martina Doehler-Behzadi beantwortet im WIRTSCHAFTSSPIEGEL-Interview diese und andere Fragen.

Dr. Martina Doehler-Behzadi

Interview mit IBA-Geschäftsführerin Dr. Martina Doehler-Behzadi | Foto: Thomas Müller

Frau Dr. Doehler-Behzadi, die IBA überquert in Kürze die Ziellinie. Das ist – zugegeben – ein Bild aus dem Sport. Können Sie dieses Bild teilen?

Ja, in gewisser Weise schon. Das Format IBA endet mit ihrer Abschlusspräsentation in Apolda am 29. Oktober. Zum Jahresende beendet die Gesellschaft ihre Tätigkeit. Insofern ist das erst einmal die Ziellinie.

Das heißt jedoch nicht, dass unser Thema, das StadtLand Thüringen zu gestalten, abgeschlossen ist. Denn Veränderungen in den städtischen und ländlichen Räumen herbeizuführen, wird weiterhin notwendig sein. Dafür stehen viele unserer Projektpartner in ganz Thüringen bereit.

Lassen Sie mich noch einen Moment beim sportlichen Bild bleiben. Zehn Jahre Projektlaufzeit sind eher ein Marathon als ein Sprint. Die meisten unserer Leser sind weder in der Stadt- und Raumplanung noch im Thema Baukultur zuhause. Deshalb die Frage: Warum diese lange Projektlaufzeit? Was war der Anspruch der IBA?

Eine IBA ist kein Forschungsprojekt und keine Sommerschule einer Universität. Sie macht keine Stippvisite an irgendwelchen Projektstandorten, um anschließend wieder wegzugehen. Bei einer IBA geht es um reale Veränderungen, um gebaute und gestaltete Projekte, die Innovation und gestalterische Exzellenz zusammenbringen. Dazu wiederum gehören eine gründliche Vorbereitung, gute Entwurfsprozesse, vielfältige Abstimmungen, Genehmigungen und Beschlüsse – all das sind Schritte, die noch vor dem Bauen kommen. Sind mehr Akteure dabei, dauern die Aushandlungen auch schon mal länger. Das muss aber nichts Schlechtes sein! Nehmen wir das Beispiel StadtLandSchule in Weimar. An diesem IBA-Projekt haben die Stadt, die Eltern, die Lehrerschaft, Schülerinnen und Schüler sowie Planungsteams gemeinsam gearbeitet, um ein Schulgebäude der Zukunft zu entwickeln, das die modernen Ansprüche an Pädagogik erfüllen kann. In diesem Fall nennen wir das ‚Leistungsphase Null‘, das ist der Arbeitsschritt, bevor die Planung startet. Und wie sicher alle miterlebt haben, ist auch das Bauen selbst unter dem Einfluss ungeahnter Hindernisse wie gestörte Lieferbeziehungen und Preisanstieg in Folge der Coronapandemie oder anderer externer Ereignisse anstrengender, teurer und langwieriger geworden.

Musste in diesen zehn Jahren etwas an den Ansprüchen angepasst werden?

Nicht im Sinne von ‚Herunterschrauben‘ der Ansprüche. Ich habe eher das Gefühl, dass uns gesellschaftliche Entwicklungen beeinflusst haben. Von einigen habe ich schon gesprochen. In Bezug auf die Folgen des Klimawandels haben sich aber ganz gewiss auch unsere Einschätzungen verändert. Hier hat uns die Dringlichkeit beispielsweise zu einer umfassenden Bauwende – in den Bestand, zu erneuerbaren Energien und nachwachsenden Rohstoffen – stark beschäftigt. Ein resilientes Thüringen ist gewissermaßen zu den Anliegen, ein räumlich ausgewogenes und damit gesellschaftlich gerechtes Verhältnis von Stadt und Land zu unterstützen, hinzugetreten.

Die IBA hat, schon dem Namen nach, einen internationalen Anspruch erhoben. Bezog sich das darauf, dass Experten aus anderen Ländern zur Mitarbeit eingeladen waren? Ist die IBA überhaupt anderswo zur Kenntnis genommen worden?

Sie haben recht, eine IBA will die fortgeschrittenen Positionen auch über den eigenen Sprengel hinaus einbeziehen. Dazu haben wir im bundesweiten und internationalen Maßstab den Austausch gesucht. Zum Auftakt der Abschlusspräsentation Anfang Mai hatten wir Gäste aus vier Kontinenten. Erst kürzlich war eine vierzigköpfige Gruppe aus Taiwan zu Gast, die sich über die IBA informiert hat, insbesondere auch über die Thüringer Stadt-Land-Thematik. Interessant ist, dass die Fragen, die uns hier beschäftigen, global auch wichtig sind. Auch andere Länder beklagen die Vernachlässigung des ländlichen Raums, auch dort gibt es das Gefühl von Abgehängtsein, mitunter in ganz anderer Schärfe.

Ideenreichtum und Interesse

Aber auch von den guten Ideen aus anderen Regionen können wir lernen. So hatten wir schon vor einigen Jahren in Bedheim, also ganz im Thüringer Süden, auf Initiative der dortigen Projektakteure Gäste aus Japan, die über den U-Turn berichteten, also den Weg vom Land in die Stadt und dann wieder zurück. Ich bin wirklich positiv überrascht, dass unsere Gäste aus dem In- und Ausland selbst die räumlich kleinen Projekte an dezentralen Standorten mit großem Interesse besichtigen. Das reicht von der Feuerorgel in Krobitz über die Open Factory im Eiermannbau Apolda bis zu den Gesundheitskiosken im Unstrut-Hainich-Kreis, um nur einige zu nennen.

Abschlussausstellung IBA

In der Abschlussausstellung im Eiermannbau Apolda kann man alle Projekte in Augenschein nehmen | Foto: Thomas Müller

Immer wenn es ums Bauen geht, erregt das auch die Gemüter der Bürger vor Ort. Welche Erfahrungen haben Sie, Frau Dr. Martina Doehler-Behzadi, diesbezüglich gesammelt?

Wir haben unterschiedliche Erfahrungen gemacht, meist aber sehr positive. Je früher und stärker auch die Menschen vor Ort in die Projekte einbezogen werden, desto weniger Reibung entsteht im Prozess. Unsere Projektpartner vor Ort leisten da natürlich die meiste Arbeit. Ihnen gelang es meist, ihre Nachbarn zu überzeugen, Mitwirkende zu gewinnen, öffentliche Aufmerksamkeit zu erzeugen. Horst Brettel vom Rennsteig erzählte mir, dass ihn Gemeindemitglieder eine Zeit lang nicht mehr gegrüßt hätten, weil er das Projekt der „Her(r)bergskirchen“ verfolgte. Das freilich wurde eines unserer erfolgreichsten Projekte. Nachdem die Nachfrage nach den ungewöhnlichen Übernachtungserlebnissen immer größer wurde, die Gemeinde den Zuwachs an Gästen wahrnahm und das Projekt auch viel Presseresonanz erhielt, wurde auch Horst Brettel wieder freudig gegrüßt und es entstanden weitere „Her(r)bergskirchen“.

Die Ergebnisse der einzelnen IBA-Projekte konnte und kann man in diversen Ausstellungen und Veranstaltungen in Augenschein nehmen. Deshalb wollen wir hier nicht auf Details eingehen. Stattdessen interessiert mich der Blick darauf, was die IBA in den aktuellen Debatten um Stadt- und Raumplanung und generell in Sachen Baukultur gebracht hat. Wie fällt Ihr Fazit aus?

Sicherlich haben wir hier in Thüringen eine IBA realisiert, die mit StadtLand einen ungewöhnlichen Themenfokus hat. Aber wir verzeichnen ein großes Interesse aus der Fachwelt. Im September wird der bundesweite Kongress der Nationalen Stadtentwicklungspolitik in Jena stattfinden. Sie haben unser Themenangebot aufgegriffen: Zukunftswerkstatt StadtLand. Wir werden diese Gelegenheit erneut wahrnehmen, den Gästen aus Deutschland und aus dem Ausland unsere ‚Lessons Learned‘ zu übermitteln.

Bleibt am Ende der IBA die Frage, was als Erkenntnisgewinn bleibt. Werden Sie, Frau Dr. Martina Doehler-Behzadi der Politik Handlungsempfehlungen mit auf den weiteren Weg geben – und welche sind das?

Wir wollen unsere IBA mit einem ‚StadtLand Parlament‘ beenden. Gemeinsam mit unseren Projektträgern laden wir am 18. Oktober Parlamentarier und wichtige Thüringer Stakeholder ein, um unsere Erkenntnisse, Ergebnisse und Empfehlungen zur Entwicklung des StadtLands Thüringen zu übergeben. Damit endet die IBA, die wir stets als einen Ausnahmezustand auf Zeit betrachtet haben. Diesen haben die Verantwortlichen vor mehr als zehn Jahren beschlossen und auch über schwierige Zeiten hinweg ermöglicht.

In Zukunft

Ich möchte nichts vorwegnehmen, gerade erarbeiten wir unsere Positionen in einem intensiven Beteiligungs(!)prozess, dem Stadt Land Forum. So – viel: Wir müssen zu regionalen Ansätzen zurückkehren, um unsere Dörfer, Städte, Länder lebenswert zu gestalten. Thüringen war ein idealer Austragungsort, um das zu verstehen, denn Thüringen ist ganz einfach ein StadtLand. Es geht nicht um ein Entweder-oder oder gar ein Gegen – einander. Und die Zukunft beginnt schon jetzt. Unsere zahlreichen Projektpartner haben unter Beweis gestellt, dass man eine neue Praxis bereits heute gestalten kann. Nicht der eine große Wurf ist das Ziel, sondern viele kleine Schritte von vielen und mit vielen. Um bildlich wieder beim Sport zu enden.

Interview: Torsten Laudien

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