Lesedauer: 6 Minuten

„Selbstbestimmt zu sein, ist wichtiger als Sicherheit“

Gründerportrait Max Stiebling

Wenn von Thüringen als Gründerland die Rede ist, dann zielt das fast ausschließlich auf Start-ups im Technologiebereich ab. Aber was ist mit den vielen anderen Gründern, die sich im Handwerk oder im Dienstleistungsbereich selbstständig machen?

Maximilian Stiebling ist einer von ihnen. Er hat „Die Teigmacher“ gegründet. Damit will er zurück zu den Wurzeln seines Handwerks. WIRTSCHAFTSSPIEGEL-Chefredakteur Torsten Laudien ist nach Bad Tabarz gefahren und hat einen Menschen getroffen, der seinen Traum leben will – bei allen Fährnissen, die das mit sich bringt.

Max Stiebling in der Backstube | Foto: Die Teigmacher

Maximilian – kurz Max – Stiebling ist zum ersten Mal auf meinem Radar erschienen, als er Ende 2022 den ThEx-Award in der Kategorie Gründen gewonnen hat. Endlich mal jemand, der nicht aus der Tech-Branche kommt. Endlich mal jemand, der Dinge tut, die uns Menschen tagtäglich angehen.

Also auf nach Bad Tabarz. Der Kurort zu Füßen des Inselsbergs hat in den letzten Jahren deutlich an Profil gewonnen. Wenn es derzeit nicht gerade von zahlreichen Straßenbaustellen umzingelt wäre, müsste man da eigentlich öfter hinfahren. Die Gemeinde hat gut 4.000 Einwohner. Einer davon ist Max Stiebling – ein bekennender Tabarzer, wie ich noch erfahren werde.

Ich liebe den Geruch von frisch gebackenem Brot. Der steigt mir gleich in die Nase, als ich die Bäckerei betrete. Als wir uns zum Gespräch in seinem Büro zusammensetzen, bin ich kurz versucht, ihn zu duzen. Aber so viel professionale Distanz muss sein: Ich lasse es. Vielleicht nächstes Mal.

Unser Gespräch dauert mehr als eine Stunde. Max erzählt, ich höre zu. Es ist eine spannende Geschichte, die er zu erzählen hat. Am Ende werde ich verstehen, dass nicht die eigentliche Gründungsgeschichte wichtig ist, sondern sein Weg dorthin.

Früher Bezug zum Backhandwerk durch die väterliche Bäckerei

Geboren wurde er wenige Monate vor der Wende 1989. Zwei Jahre zuvor hatte sein Vater eine Dorfbackstube im benachbarten Dörfchen Langenhain übernommen. Nach Max’ Geburt kommt eine erste Filiale in Tabarz hinzu, weitere folgen. Für Max ist der Alltag in einer Bäckerei Normalität. Auf seinem Smartphone hat er noch heute ein Bild, dass ihn zeigt, wie er auf Mehlsäcken sitzend Bäcker spielt. Er überlässt es mir für diesen Beitrag.

Seit er 13 ist, arbeitet er in der Bäckerei mit. Er kennt nichts anderes, seinem Taschengeld hilft es auch. Unterdessen gründet sein Vater mit einem Geschäftspartner ein Unternehmen, dass sich auf die Herstellung von tiefgekühlten Obstkuchen spezialisiert. In Asien finden diese Produkte reißenden Absatz, das Unternehmen expandiert. Max macht unterdessen Abitur. In den Ferien zwischen 11. und 12. Klasse reist er nach Indien, wo sein Vater gerade eine Fabrik bauen lässt. Max fasst den Entschluss, Bäcker zu werden.

Da muss ich nachfragen. Bäcker, sind das nicht die Leute, die mitten in der Nacht aufstehen müssen? Die dann abends beizeiten ins Bett fallen, wenn ihre Altersgenossen gerade erst zur Party aufbrechen? Ja, sagt Max, dass nerve ihn an seinem Beruf bis heute. Aber es bringt ihn nicht von seinem Plan ab – bis heute übrigens – aber davon wird noch die Rede sein.

Beruflicher Werdegang: Eine Idee wird geboren

Max macht also eine Bäckerlehre und schließt sie als Jahrgangsbester ab. Und weil es keine verpflichtenden Gesellenjahre mehr gibt, hängt er gleich noch eine Meisterschule hintendran. Sechs Monate in Vollzeit fernab von zuhause. Hier kommt er zum ersten Male mit Einflüssen von außen in Berührung. Er lernt Berufskollegen kennen, die damals schon auf natürliche Backmethoden setzen. In ihm reift ein Gedanke: „Wenn ich es mache, dann mache ich alles selbst.“

Die Meisterschule hilft ihm dabei nur bedingt. Hier lernt er viel über Management, Personalführung und Marketing. „Aber nichts übers Backen“, sagt er heute. Trotzdem wird er auch hier wieder Jahrgangsbester.

Anschließend will er „auf die Walz“, die Eindrücke vertiefen und seine Kenntnisse erweitern. Eine Schulterverletzung wirft ihn zurück. 2010 hängt er deswegen noch einen Lehrgang in Betriebswirtschaft in Leipzig dran. Als er gerade über ein Angebot nachdenkt, für ein halbes Jahr in die USA zu gehen, meldet die Familie Bedarf an. Er soll in den elterlichen Betrieb einsteigen und stellt sich der Verantwortung: Er ist fortan für Tiefkühl-Kräuterbaguettes zuständig, die im Vierschichtrhythmus gefertigt werden. Also wieder der industrielle Maßstab. Das geht anderthalb Jahre gut.

Zum Bäcker geboren? Max Stiebling in Kindertagen | Foto: privat

Seine nächste Station ist eine große Handelskette, die ihre Filialen jeweils mit eigenen Backstuben aufrüsten will. Er steigt auf der Karriereleiter nach oben. Aber auch das ist es am Ende nicht. Jahrelang, so sagt er, isst er kein „Standardbrot“, wie er es nennt. Ende 2018 ist er mit sich und seiner Welt unzufrieden. Karriere ist eben nicht alles.

Ein Wendepunkt für Max Stiebling: Die Idee nimmt Gestalt an

Max erzählt über einen Wendepunkt, der so klischeebeladen ist, dass ich es fast nicht glauben will. Ein Freund empfiehlt ihm ein Buch, „das dein Leben verändern wird“. Und das tut es tatsächlich, obwohl Max anfangs skeptisch ist. Er beginnt zu laufen. Die heimische Gegend um Tabarz eignet sich bestens dafür, erkennt er. Mir kommt in dem Moment eine Szene aus „Forrest Gump“ in den Sinn. „Lauf, Forrest, lauf!“ Und Max läuft. Seine Ziele werden anspruchsvoller. Halbmarathon, später auch Marathon. Dabei lernt er tolle Leute kennen. Mit einem davon, Norman, wird er später „Die Teigmacher“ gründen. Und er lernt auch: „Du musst dich quälen“.

Einer seiner Freunde, ein Gastronom, bittet ihn 2020 ein Sauerteigbrot für ihn zu backen. Für einen Bäcker eigentlich kein Problem. Denkste! Wenn man keine industriellen Backhilfsmittel verwenden will, erkennt Max, ist es dann doch nicht so leicht. Er versucht, es mir zu erklären. Ich merke mir die Begriffe „spontane Gärung“ und „wilde Gärung“ – und bin dann fachlich raus. Nur so viel verstehe ich noch: In der Bäckerausbildung wird das nicht wirklich vermittelt. „Es ist so kompliziert, also lasst die Finger davon“, erinnert er sich. Max versteht für sich: „Ich habe das Backen verlernt.“

Also macht er das, was er schon lange vorhatte: Er geht auf die Walz. In Speyer und Bonn trifft er auf Berufskollegen, die ihr Brot natürlich backen. Und wieder nennt Max einen Fachbegriff, den ich mir versuche zu merken: „langgeführte Teige“. Die sind nicht nur für die Qualität des Brotes wichtig, sondern lösen auch noch das Frühaufsteher-Problem. Die Teige werden am Vortag angerührt und reifen über Nacht.

 

Gründung von „Die Teigmacher“: Die Idee wird in die Tat umgesetzt

Zurück in Tabarz will er den Weg in die Selbstständigkeit wagen. Der Bürgermeister bietet ihm einen Pavillon im Park an. Hier eröffnet er mit seinem Kumpel Norman und Gleichgesinnten Anfang September 2021 ein Sommercafé. Zunächst kann er seine Brote im elterlichen Betrieb backen. Das ist aber keine Dauerlösung. Eine ehemalige Fleischerei im Tabarzer Zentrum ist frei. Er kann gebrauchte Maschinen bekommen, schreibt Business-Pläne und will loslegen.

Wir sind aber immer noch in der Coronazeit. Und als ob das nicht reichen würde, kommt dann auch noch der Krieg in der Ukraine hinzu. 2022 wird eine Achterbahnfahrt für ihn und seine Mitstreiter. Die Preise für Rohstoffe und Energie steigen. Als Handwerksbetrieb muss er vom erwirtschafteten Umsatz leben. Am 1. Advent 2022 eröffnet er endlich seine Bäckerei.

„Selbstbestimmt zu sein, ist wichtiger als Sicherheit“, ist ein Satz, den Max in diesem Zusammenhang sagt. Dabei stehen die nächsten Probleme schon vor der Tür. Die Kapazität seiner Backstube ist noch nicht ausgelastet. Also denkt er über weiteres Wachstum nach. Ein Café in Eisenach ist im Gespräch, ebenso ein mobiler Stand am Ortsrand von Bad Tabarz. Digitalisierung steht auf Max’ Agenda. Ein Umzug in eine größere Stadt dagegen nicht. Als Tabarzer will er hierbleiben und sich in die Entwicklung des Ortes einbringen.

Max hat noch viel zu erzählen, vor allem über die mangelnde Wertschätzung seines Handwerks von offizieller Seite. „Als Bäcker sind wir schließlich systemrelevant.“

Am Ende habe ich einfach nur noch Appetit auf das, was da aus Max’ Backstube kommt. Also der Selbstversuch – wohlgemerkt finanziert aus eigener Tasche. Fazit am heimischen Abendbrotstisch: Ich werde wohl öfter mal nach Bad Tabarz fahren. Es schmeckt.

Share This