Lesedauer: 4 Minuten
Bodo Ramelow im Interview: „Wenn die Gräben breiter werden, müssen wir längere Brücken bauen“
Ministerpräsident Bodo Ramelow und seine Bundesratspräsidentschaft
Thüringen hat noch bis Ende Oktober die Bundesratspräsidentschaft inne. Damit ist Ministerpräsident Bodo Ramelow auch Präsident der Länderkammer. Ein Amt, dass eher repräsentativ denn politisch mächtig ist. Ein Bundesratspräsident wirkt durch die Kraft des Wortes, wird oft gesagt. Bodo Ramelow gehört zu den Politikern, deren Worte durchaus Kraft entfalten können. Ob diese Kraft aber auch die erhoffte Wirkung entfaltet hat, wollte WIRTSCHAFTSSPIEGEL-Chefredakteur Torsten Laudien im Gespräch mit dem doppelten Präsidenten erfahren. Immerhin lautet das Motto der Ratspräsidentschaft „Zusammen wachsen – Zusammenwachsen“.
Bodo Ramelow mit dem Schriftzug zum Tag der Deutschen Einheit 2022. Foto: Thomas Abé
Als Bodo Ramelow am 1. November 2021 sein Amt als Bundesratspräsident antrat, steckte das Land noch mitten in der Pandemie. Mittlerweile ist diese Krise vom Krieg in der Ukraine überlagert worden. Fragt man Bodo Ramelow nach einer vorläufigen Bilanz der Amtszeit, überrascht er mit einer spontanen Antwort: „Ich bin erstmal froh, dass ich überhaupt etwas tun konnte. Meine beiden Amtsvorgänger waren da viel schlechter dran. Es lief zwei Jahre lang ja fast nichts.“
Dann wird er konkreter. Es ginge ihm beim Motto der Ratspräsidentschaft um zweierlei: einerseits das Zusammenwachsen von Ost und West, aber andererseits genauso auch um „unsere Fähigkeit, gemeinsam als Bundesrepublik Deutschland in all ihren Regionen und Landesteilen nachhaltig Wachstum zu gestalten.“ Dabei hat er nicht zuletzt auch europäische und globale Aspekte im Blick. Auf seinen Reisen, die den Ministerpräsidenten während seiner Bundesratspräsidentschaft unter anderem nach Polen und Rumänien sowie in den Jahren zuvor nach Vietnam geführt haben, habe er viele Gespräche geführt, in denen es vor allem um Transformation ging. Dabei sei er gerade als Vertreter Thüringens ein gefragter Gesprächspartner gewesen, denn im Ausland werde Thüringen als Musterbeispiel für eine gelungene Transformation gesehen.
Ramelow findet, wir seien nach wie vor konfrontiert mit einem merkwürdigen Auseinanderklaffen der Wahrnehmung der positiven aktuellen Lage Thüringens einerseits und dem Blick auf die vergangenen drei Jahrzehnte ostdeutscher Transformation andererseits. Heißt: Die Stimmung ist schlechter als die Lage. Und: „Wir können Transformation, das haben wir bewiesen. Andere können von unseren Erfahrungen profitieren“, plädiert er für mehr Thüringer Selbstbewusstsein.
Perspektive wechseln, um andere zu verstehen
Dies sei allerdings keine Einbahnstraße. Auch wir in Deutschland seien dazu angehalten, die Perspektive zu wechseln, von Nachbarländern zu lernen und gelegentlich mit deren Blick auf aktuelle Herausforderungen zu schauen, um diese zu verstehen. Die osteuropäischen Länder hätten beispielsweise viel eher das Gefahrenpotenzial erkannt, dass von Putin ausgehe. Als er auf dem Krakauer Flughafen die ukrainische Präsidentenmaschine gesehen habe, die dorthin in Sicherheit gebracht wurde, oder die Vielzahl an Flugabwehrgeschützen neben dem Rollfeld eines Flughafens in Rumänien, sei ihm vieles klarer geworden. „Wir hätten besser zuhören sollen“, sagt Ramelow. Man müsse die Ängste der Balten und Osteuropäer verstehen, auch wenn einem manche der politischen Akteure nicht gefielen.
Wir können Transformation, das haben wir bewiesen. Andere können von unseren Erfahrungen profitieren!
„Wir brauchen einen Weltfriedensrat“
Dieses ‚einander zuhören‘ sei eine wichtige Grundlage, wenn es darum geht, zusammen zu wachsen. Er selbst werde immer zuhören, wenn jemand reden wolle. Allerdings beobachte er auch beängstigende Tendenzen. Die Anti-Corona-Proteste hätten sich in weiten Teilen zu Pro-Putin-Kundgebungen gewandelt – oftmals mit den gleichen Akteuren und Initiatoren. Dabei schwinge immer auch Anti-Amerikanismus mit.
Und dann beweist der Linken-Politiker, was er damit meint, einander zuzuhören und die Perspektive der anderen einzunehmen: Er könne durchaus nachvollziehen, wenn Kritiker darauf verweisen, welche Rolle der Westen und insbesondere die USA in anderen Konflikten gespielt hätten. Niemand dürfe sich als Weltpolizist aufspielen, sagt Ramelow, der mit den Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg im Westen großgeworden ist.
Deshalb plädiert er für eine grundsätzlich neue Ordnung in den internationalen Beziehungen. „Wir brauchen einen Weltfriedensrat“, sagt Ramelow und verweist auf die guten Erfahrungen, die die internationale Gemeinschaft mit der KSZE (Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) gemacht habe. Ein solches Instrument müsse es auf allen Kontinenten geben, was dann in einen Weltfriedensrat münden könnte. Der UN-Sicherheitsrat sei in seiner aktuellen Form im Kern gescheitert.
„Die derzeitigen Krisen zeigen wie unter einem Brennglas, was vorher schon falsch gelaufen ist“, so Ramelow. „Corona hat uns viel über unser Gesundheitswesen erzählt, und Putins Krieg in der Ukraine offenbart schonungslos die Schwächen, die bereits zuvor in der UN und auch der NATO existiert haben. Ein Beispiel sind die anmaßenden Forderungen der Türkei bei der Frage des NATO-Beitritts von Finnland und Schweden.“ Oder die Janusköpfigkeit der deutschen Energiepolitik, möchte man hinzufügen.
Das Land voranbringen
Von der Weltbühne zurück nach Thüringen. Hier kann der Ministerpräsident Bodo Ramelow ja vorführen, wie das funktioniert mit dem Zuhören und dem zusammen Wachsen. Hier führt er eine Minderheitsregierung und ist auf die Zusammenarbeit mit der CDU angewiesen. Die funktioniere sehr gut, anders als man es nach der veröffentlichten Meinung vermuten könne. „In allen wichtigen Fragen bin ich im Gespräch mit Professor Voigt (CDU-Landtagsfraktionschef – A.d.R.). Ob das der ‚Windfrieden‘ ist oder die Probleme der Glasindustrie – wir sind im ständigen Austausch.“ Wenn man das Land voranbringen – also zusammen wachsen – wolle, dann müsse man pragmatisch handeln und auch mal über den eigenen Schatten springen.
Dennoch bemerkt der Ministerpräsident auch hierzulande besorgniserregende Tendenzen im öffentlichen Diskurs. „Wir müssen lernen, andere und ihre Meinungen auszuhalten.“ Das habe allerdings auch Grenzen. „Wenn jemand reden will, höre ich zu. Wenn jemand aber nur beleidigen und verunglimpfen will, dann ist für mich eine Grenze überschritten und jedes Gespräch wird verunmöglicht.“ Die reale Gefahr, dass das Auftreten einer kleinen, aber sehr lauten Minderheit dazu beitrage, Land und Gesellschaft weiter auseinanderdriften zu lassen, schmerze ihn. Er wolle lieber Brücken bauen, als Mauern, sagt er.
Damit sieht Ramelow aber das Motto der Bundesratspräsidentschaft nicht als gescheitert an. Im Gegenteil: „Wenn die Gräben breiter werden, müssen wir längere Brücken bauen.“
Interview: Torsten Laudien