Allein durch die Krise oder auf Zusammenarbeit und länderübergreifende Projekte bauen?

Krisen führen zu Anpassungen. Dabei gibt es Gewinner und Verlierer. So weit, so bekannt. Es stellt sich jedoch die Frage, ob wir als Unternehmen achselzuckend danebenstehen und konstatieren: „Das ist eben so“ – oder ob wir uns den Entwicklungen gemeinsam entgegenstellen. Ein Gastbeitrag von Dr. Jens Katzek, Geschäftsführer des Branchenverbandes Automotive Cluster Ostdeutschland (ACOD) und Mitglied im Expertenkreis zur „Transformation der Automobilwirtschaft“ von Bundeswirtschaftsminister Habeck.

Foto: ACOD | Dr. Jens Katzek, Geschäftsführer ACOD 

Beim Klimaschutz haben wir uns als Gesellschaft entschieden, uns der Herausforderung gemeinsam zu stellen mit dem Ergebnis, dass die EU-Kommission jüngst ein „Fit for 55“- Paket vorgestellt hat, das sogar den Marshall-Plan in den Schatten stellt, der nach dem Zweiten Weltkrieg Grundlage für das Widererstarken Europas war. Dieses Paket, so der Verband der Automobilindustrie (VDA) stellt die „größte Herausforderung für die Industrie dar, die es je gegeben hat.“

Es stellt sich die Frage, ob das, was beim Klimaschutz als selbstverständlich gilt – dass jeder seinen Beitrag leistet, um das gemeinsame große Ziel zu erreichen – nicht auch für einen Industriezweig gilt, der wie kaum ein anderer Deutschland nach außen charakterisiert, für die Innovationskraft unserer Volkswirtschaft steht und für den Wohlstand der Menschen von so entscheidender Bedeutung ist: die Automobilindustrie.

Die Anhäufung von Problemfeldern ist wohl einzigartig. Nicht nur ist man mit Themen konfrontiert, die für die gesamte Industrie gelten – Corona-bedingte Werksschließungen und die damit einhergehenden Produktionsausfälle, Chip-Krise, Lieferengpässe, Verteuerung von Energie und Materialien durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine – sondern man muss auch noch das bestehende Antriebssystem, den Verbrennermotor, durch ein neues ersetzen. Parallel dazu steigen die Anforderungen, möglichst auch die Autos selber und ihre Einzelteile CO2-frei zu produzieren. Und der Erfolg der angestrebten Wende hin zur Elektromobilität steht unter dem Damokles-Schwert eines notwendigen raschen Ausbaus der Ladeinfrastruktur – ohne die wir zwar Autos mit CO2-freien Antriebssystemen haben, die dann aber nicht fahren können. Das alles gepaart mit einem Fachkräftemangel und dem notwendigen Digitalisierungsschub. Da kann man wohl ohne Übertreibung sagen: Der Druck auf den Kessel steigt – und man fragt sich manchmal augenreibend, wie lange der Kessel wohl noch standhält.

Die Volatilität dessen, was derzeit in unserer Industrie passiert, bringt viele an ihre Grenze. Manches Mal fällt es schwer, innerhalb der Geschwindigkeit, die durch digitale Technologien, flexible Produktion und Logistik vorgegeben wird, angebracht zu agieren. Häufig zwingen die sich permanent ändernden Umstände zu schnellen Reaktionen, statt zu durchdachten Entscheidungen – was die Fehleranfälligkeit der Entscheidungen erhöht, die die Öffentlichkeit und der Kunde zusätzlich auch noch nicht bereit sind zu akzeptieren; denn die Fehlertoleranz der Gesellschaft sinkt seit Jahren.

In einer solchen Situation kann man auf den eigenen Vorteil schauen und die Chance ergreifen, oder aber fährt die Ellenbogen wieder ein und erkennt, dass bei allem Wettbewerb die Einhaltung bestimmter Grundregeln eines fairen Umgangs miteinander langfristig (fast) allen zum Vorteil gereichen.

An den Interessen der Unternehmen orientierten und miteinander kooperierenden Netzwerken gehört die Zukunft

Einen solchen Prozess der Zusammenarbeit zu organisieren – dafür bedarf es eines Organisationsrahmens, eines Netzwerks, das die Interessen der vielfältigen Akteure in den Mittelpunkt seiner Arbeit stellt. Das unternehmerische Entscheidungen unterstützt, die Kooperationen zwischen den einzelnen Mitgliedern stärkt und das hilft, Innovationen zu generieren, diese weiter zu entwickeln und nutzbar zu machen.

Der Austausch von best-practice-Erfahrungen gehörte schon immer zum zentralen Fokus des ACOD. Dabei war es immer auch unser Ziel, große und strukturbestimmende Unternehmen und innovative KMU unter einem Dach in das Netzwerk einzubinden. Dabei muss und kann man nicht alles selber erfinden und selber tun. Deshalb sind Kooperation mit anderen Verbänden und Netzwerkern so wichtig.

Die erheblichen Risiken in den Rohstoffmärkten (besonders bei Stahl, Aluminium und Gas) und in den Lieferketten stellen Unternehmen vor große Herausforderungen. Das Thema Liefernetzwerke und deren Resilienz wird deshalb in den kommenden Jahren eine zentrale Bedeutung bekommen – sowohl für das einzelne Unternehmen, als auch für Maßnahmen der Politik.

Die Schaffung von Transparenz in den Wertschöpfungsketten spielt hierbei eine entscheidende Rolle weshalb kooperative Industrieinitiativen wie Catena-X, die sich genau mit dieser Fragestellung beschäftigen, plötzlich eine noch größere Relevanz bekommen.

Aber die Erfahrungen in den Netzwerken der letzten Monate zeigen auch, dass Unternehmen sich den Austausch untereinander wünschen. „Wie haben Sie sich der Krise gestellt? Welche Maßnahmen haben funktioniert? Was haben Sie aus der Krise für die Zukunft gelernt?“ Der Aufbau solcher Austauschbeziehungen zwischen den Unternehmen eines Industrieclusters (zum Beispiel für die Etablierung von Einkaufs-Netzwerken, Austauschbörsen für Materialien, gemeinsamen Recycling-Netzwerken et cetera) kann helfen.

Es hat in den letzten Monaten Verstimmungen innerhalb der Zulieferer gegeben, weil unvorhersehbare Preisschwankungen nicht an den Endkunden weitergegeben werden konnten. Zuvor vertraglich vereinbarte Regelungen waren zwar glasklar – aber die Dramatik der Lieferengpässe und der steigenden Material-und Energiepreise waren für viele der Zulieferer nicht in dem Maße absehbar.

Bei einer Umfrage des VDA unter System-/Teilelieferanten im Mai dieses Jahres haben fast 80 Prozent der Befragten die Frage verneint, ob Preissteigerungen in der Vorkette kompensiert werden konnten! Und 35 Prozent der Unternehmen haben benannt, unter anhaltenden, signifikanten Liquiditätsengpässen zu leiden.

Wenn man der These zustimmt, dass die Notwendigkeit besteht, gemeinsam und kooperativ die Herausforderungen der Zukunft zu meistern, und das wichtiger ist denn je, dann folgt daraus zwangsläufig ein deutlich höheres Maß an notwendiger Unterstützung, um prekäre Situationen für die Netzwerkpartner abzuwenden beziehungsweise abzufedern. Dies gilt gleichermaßen vor dem Hintergrund der stetig zunehmenden Themenvielfalt und erfordert mehr als zuvor vertrauensvolle Zusammenarbeit unter echten Partnern. Es gilt die bekannte Weisheit: Starke und breite Schultern können mehr aushalten und stemmen. Verantwortung auf viele Schultern verteilt, wird gemeinsam getragen. (jka)

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