Schlüssel zu ökonomischer Stärke

Expertenrat sieht dringenden Handlungsbedarf

Deutschland und die EU drohen bei digitaler Technologie den Anschluss zu verlieren. Zu diesem Schluss kommen die Mitglieder der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) in ihrem Jahresgutachten. Dagegen konstatieren die Wissenschaftler einen rasanten Aufstieg Chinas und fordern, Voraussetzungen für die strategische Förderung von Schlüsseltechnologien zu schaffen. Dazu seien industriepolitische Maßnahmen angebracht.

Das neue Jahresgutachten nimmt die Stärken und Schwächen Deutschlands bei Schlüsseltechnologien in den Blick und mahnt dringenden politischen Handlungsbedarf an. „Schlüsseltechnologien“, so Prof. Dr. Uwe Cantner von der Universität Jena und Vorsitzender der Expertenkommission, „nehmen eine Schlüsselrolle bei der technologischen und ökonomischen Entwicklung eines Landes ein, da sie zur Entstehung neuer dynamischer Märkte beitragen und essenziell für die innovative Weiterentwicklung und Anwendung vieler anderer Technologien sind.“ Ein klassisches Beispiel sind Steuerungschips, die für moderne, digitale Produktionsverfahren und Smart-Home-Anwendungen ebenso unersetzlich sind wie für die Bereitstellung und Weiterentwicklung neuer Energie- und Mobilitätskonzepte.

Prof. Uwe Cantner

Neben diesen etablierten Schlüsseltechnologien existieren aber auch junge Technologien wie die künstliche Intelligenz (KI), deren wirtschaftliches Potenzial sich erst in Zukunft entfalten wird. „Der Markt für künstliche Intelligenz ist aktuell noch vergleichsweise klein. Prognosen gehen aber davon aus, dass der KI-Markt bereits im Jahr 2024 die 500-Milliarden-US-Dollar-Marke überschreiten wird. Da steckt eine Menge Dynamik drin”, so Uwe Cantner. „Es stellt sich darum nicht nur die drängende Frage, wie Deutschland hinsichtlich aktueller Schlüsseltechnologien aufgestellt ist, sondern auch, welche Technologien das Potenzial haben, die Schlüsseltechnologien von morgen zu werden.”

Deutschland schwach bei digitalen Technologien

Die Expertenkommission hat daher 13 Einzeltechnologien untersucht, die sich vier übergeordneten Bereichen von Schlüsseltechnologien zuordnen lassen: Produktion, Material, Bio- und Lebenswissenschaften sowie digitale Technologien. Anhand der Auswertung von wissenschaftlichen Publikationen, Patentanmeldungen, Handelsstatistiken und der internationalen Standardsetzung ergibt sich folgendes Bild: „Deutschland hat durchaus Stärken in den Produktionstechnologien sowie den Bio- und Lebenswissenschaften“, erklärte Prof. Dr. Carolin Häussler von der Universität Passau und Mitglied der Expertenkommission bei der Vorstellung des Gutachtens vor Journalisten. Als „ernsthaft kritisch“ bewertet die EFI laut Carolin Häussler allerdings, dass „Deutschland im Bereich der digitalen Technologien deutliche Schwächen zeigt, wie auch die gesamte EU“. Damit riskiere Deutschland mit seinen europäischen Partnern nicht nur den Anschluss an einen ökonomisch immer bedeutsamer werdenden Technologiebereich zu verlieren, sondern gefährde auch seine bestehenden Stärken in anderen Schlüsseltechnologiebereichen, wie beispielsweise den Produktionstechnologien sowie den Bio- und Lebenswissenschaften. „Die Ausstrahlwirkung der digitalen Technologien in die anderen Schlüsseltechnologien ist enorm. Hier Schwächen zu haben bedeutet, unsere Stärken zu riskieren“, warnt Carolin Häussler.

In starkem Kontrast zur Schwäche Deutschlands und Europas bei digitalen Technologien steht die ausgewiesene Stärke Chinas. Besonders beeindruckend ist die Dynamik, mit der sich China in den letzten 20 Jahren – quasi aus dem Nichts heraus – eine Spitzenposition in der Forschung, Anwendung und beim Handel mit fast allen Schlüsseltechnologien erarbeitet hat. Für Deutschland ist China heute der wichtigste Lieferant von digitalen Technologien sowie Produktions- und Materialtechnologien. Die Abhängigkeit von chinesischen Importen macht der Expertenkommission Sorge. „Internationale Arbeitsteilung und Außenhandel sind ja grundsätzlich vorteilhaft und nicht jede Volkswirtschaft muss alles selbst herstellen. Doch können Schieflagen auftreten. In Anbetracht des wachsenden systemischen Konkurrenzverhältnisses zwischen der westlichen Welt und China etwa wächst das Risiko, dass wir künftig auf wichtige Technologien nicht mehr verlässlich zugreifen können”, gibt Carolin Häussler zu bedenken. Daher sieht die EFI „dringenden Handlungsbedarf: Die Themen Schlüsseltechnologien und technologische Souveränität gehören oben auf die
politische Agenda!“

Prof. Carolin Häussler

Voraussetzungen für die strategische Förderung von Schlüsseltechnologien schaffen

Da die strategische Förderung von Schlüsseltechnologien in Deutschland – anders als in China und den USA – erst am Anfang steht, empfiehlt die EFI ein regelmäßiges und systematisches Erfassen von etablierten und potenziellen Schlüsseltechnologien. Ein unabhängiges Beratungsgremium sollte auf Grundlage dieses Monitorings ein kontinuierlich aktualisiertes Technologie-Portfolio erstellen und die Bundesregierung zum Umgang mit diesen Schlüsseltechnologien beraten.

Förderung europäisch denken und insbesondere auch Anwendungen fördern

Die Bundesregierung sollte bei ihrer Förderung von Schlüsseltechnologien starke Akzente bei der Grundlagen- und angewandten Forschung sowie beim Aufbau entsprechender Kompetenzen durch das Bildungssystem setzen. Neben diesen Maßnahmen im vormarktlichen Bereich sind direkte staatliche Eingriffe in den Markt kein Tabu mehr. „Das Welthandelssystem hat sich in den letzten Jahren verändert, das Ideal gleicher Wettbewerbsbedingungen ist unter Druck geraten und kritische Abhängigkeiten, mit allen Konsequenzen für die technologische Souveränität, werden zur realen Gefahr. Daher sind zur Förderung potenzieller Schlüsseltechnologien industriepolitische Maßnahmen durchaus angebracht“, so Kommissionschef Uwe Cantner, „sofern sie einen anstoßenden, katalytischen Charakter haben, das heißt nach einiger Zeit auch wieder zurückgenommen werden“. Dabei müsse die Förderung unbedingt europäisch organisiert werden, denn „eine starke Position an der weltweiten Spitze ist für Deutschland nur im Verbund mit den übrigen EU-Ländern möglich“, wie Cantner betonte.

Engagement in Standardisierungskomitees stärken

Ein wichtiger Aspekt bei der Kommerzialisierung von Schlüsseltechnologien ist die Normung und Standardisierung. Da das deutsche Engagement in den dafür zuständigen internationalen Organisationen gering ist, sollten dringend Anreize für die Unternehmen gesetzt und Kosten bezuschusst werden. „Es ist wichtig, dass deutsche und europäische Interessen beim Aushandeln zukünftiger Normen und Standards vertreten sind“, betont Carolin Häussler, denn „ansonsten werden die Weichen von anderen Regionen in der Welt gestellt.“ (em/tl)

Erfahren Sie mehr unter www.e-fi.de

Fotos: EFI

Share This