Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft miteinander verknüpfen

Als er ins Amt gewählt wurde, stand er plötzlich bundesweit in den Schlagzeilen.

Ilmenaus Oberbürgermeister Dr. Daniel Schultheiß | Foto: Paul Träger

Zum einen, weil er den als CDU-Erbhof geltenden Chefsessel im Rathaus eroberte, zum anderen, weil er von einem Bündnis namens „Pro Bockwurst“ ins Rennen geschickt worden war. Was nach einer erfolgreichen Aktion der politischen Spaßguerilla klingt, hatte für die Ilmenauer Bürgerschaft einen ernsten kommunalpolitischen Hintergrund. Denn Schultheiß war zu diesem Zeitpunkt schon länger in der Stadtpolitik tätig und galt als offen, pragmatisch und kommunikativ. Nach zwei Jahren im Amt ist es Zeit für eine Bestandsaufnahme.

Herr Dr. Schultheiß, Sie sind jetzt gut zwei Jahre im Amt. Oberbürgermeister von Ilmenau zu sein – ist das ein Traumjob?

Natürlich ist es ein Traumjob, für die Menschen in einer wunderbaren und prächtig entwickelten Stadt wie Ilmenau zu arbeiten. Zur Stellenbeschreibung gehören aber neben Repräsentation, Kommunikation, Projektmanagement und Gremienarbeit auch Problemlösung und maximale Flexibilität.

Zum Glück durfte ich einiges davon schon aus meinem vorherigen Berufsleben als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Technischen Universität mitbringen.

Beschreiben Sie uns doch bitte Ilmenau aus wirtschaftlicher Sicht. Wo liegen die Stärken und Potenziale der Stadt?

Ilmenau ist wirtschaftlich sehr vielfältig aufgestellt. Die örtlichen Unternehmen decken ein breites Spektrum an Branchen ab. Strukturell ist die Breite ähnlich: Einzelunternehmerinnen und Einzelunternehmer ergänzen einen sehr starken Kern von kleinen und mittelgroßen Unternehmen, die zum Teil zu den „hidden champions“ ihrer Branche gehören. Eine große Klammer ist die Innovationsfähigkeit und regionale Verbundenheit vieler Unternehmen. Bestehen bleiben die Herausforderungen stetig Innovationen und Kooperationen zu fördern, Fachkräfte zu binden und zu gewinnen sowie eine Gründerkultur zu etablieren.

Mit unserem Spezialgymnasium Goetheschule, der Technischen Universität, zahlreichen Bildungs-, Forschungs- und Transfereinrichtungen bieten wir beste Voraussetzungen und viel Potenzial, welches wir in Zukunft durch aktivere und strategische Wirtschaftsförderung für die Region stärker nutzen wollen und müssen. Mit der zentralen Anbindung an verschiedene Infrastrukturwege im bundesweiten Straßen- und Schienennetz sowie dem aktuellen Ausbau von Glasfaserbreitbandnetzen punkten wir mit harten Standortfaktoren.

Den Alumni wird eine lebenslange Verbundenheit zu ihrer Alma Mater nachgesagt. Sie sind jetzt Chef der Stadt, in der Sie studiert und promoviert haben. Wie wirkt sich das auf Ihre Amtsführung aus?

Tatsächlich prägt mich diese Vergangenheit sehr. Über den Umweg durch die Technische Universität konnte ich Ilmenau zu meiner Heimat machen – ein Werdegang, der in einer Universitätsstadt nicht unüblich ist. Tatsächlich sehe ich viele Verbindungen zwischen der analytischen Arbeit als Wissenschaftler beziehungsweise der Lehrtätigkeit mit Studierenden und meiner Tätigkeit als Oberbürgermeister. Jetzt sind die Entwicklung der Stadt Ilmenau, basierend auf der Identifikation von Problemen und dem Anbieten von Lösungsansätzen, genau wie der Austausch mit den Menschen mein Fokus.

Bei welchen Themen pflegen Sie den Austausch mit der TU besonders? Was ist Ihnen am wichtigsten in der Zusammenarbeit mit der Universität?

Die Stadt Ilmenau und die Technische Universität sind in einer Art Symbiose, wir sind Partner. Wir sind – im positiven Sinne – aufeinander angewiesen und profitieren voneinander. Diese Symbiose noch mehr mit Leben zu füllen ist mir wichtig. Weiche Standortfaktoren sind neben der reinen Qualität der Studiengänge ein zentraler Faktor für die Studierendenwerbung. Im Umkehrschluss profitieren wir nicht nur demografisch von jedem Menschen, der nach Ilmenau kommt. Die Universität bereichert Kultur und Wirtschaft. Als einzige Stadt mit einer technischen Universität in Thüringen möchten wir natürlich auch wissenschaftliche und technische Erkenntnisse noch mehr im Lebensalltag der Menschen sehen. Daher wollen wir insbesondere im Bereich des Transfers wissenschaftlicher Erkenntnisse und der Förderung von Unternehmensgründungen noch enger zusammenarbeiten. Davon profitieren wieder die Unternehmen und die Menschen, die hier leben.

Stichwort Ausgründungen und Start-ups. Welche Bedingungen können Sie Unternehmensgründern in Ilmenau bieten?

Ilmenau bietet für Gründerinnen und Gründer die Möglichkeit, im Umfeld einer Universität mit besten Standortbedingungen zum Leben ein ideales Umfeld zum Aufbau eines Unternehmens. Viele der erfolgreichen Unternehmen, insbesondere im Technologiesektor, sind Neugründungen der letzten drei Jahrzehnte.

In Ilmenau haben wir kurze Wege. Unsere Wirtschaftsförderung ist in engem Kontakt mit der Gründungsunterstützung der TU Ilmenau, dem Ilmkubator, sodass wir bereits frühzeitig Start-ups mit den regionalen Unternehmen und Netzwerken verbinden und so Synergien fördern können. In unserem Technologie- und Gründerzentrum – in direkter Nachbarschaft zum Universitäts- und dem entstehenden Innovationscampus – können Start-ups unter anderem Co-Working-Spaces nutzen oder nach Gründung von einer Kaltmietförderung profitieren. Beim Unternehmensaufbau können sie auf das kompetente und international agierende Alumninetzwerk von auftakt. Das Gründerforum Ilmenau zurückgreifen und über dessen VC Campus-Format Investoren gewinnen.

Auch bei den weichen Standortfaktoren finden Gründende für sich und ihre Mitarbeitenden beste Bedingungen vor. Mit seiner naturnahen Lage ist Ilmenau attraktiv für sportbegeisterte junge Menschen und bietet durch die zentrale Autobahnanbindung eine gute Ausgangslage für Wochenendtrips. Als familienfreundliches Mittelzentrum haben wir optimale Rahmenbedingungen, um Familie und Beruf gut miteinander vereinbaren zu können.

Mal in langen Linien gedacht: Wie soll das Ilmenau der Zukunft aussehen?

Der Blick in die Zukunft ist immer ein schwieriger. Maxime der Stadtverwaltung ist natürlich das Geschaffene zu erhalten, aber immer nach Optimierung zu suchen. Wir möchten weiter ein attraktiver Lebensmittelpunkt sowie Standort für Unternehmen unterschiedlicher Branchen sein und uns stetig fortentwickeln. Neuen Technologiefeldern, die an der Technischen Universität erforscht werden (Künstliche Intelligenz, Mobilität der Zukunft, ökologische Energieerzeugung, etc.) stehen auch wir als Stadt offen gegenüber und wünschen uns, dass Unternehmen vor Ort von diesen Zukunftsthemen, aber eben auch den Absolventinnen und Absolventen, die in diesen Bereichen ausgebildet sind, profitieren. Mit einer nachhaltigen Gründungs- und Innovationskultur wollen wir in unserer Stadt auf vielfältige Weise Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft miteinander verknüpfen.

Eine letzte Frage: Sie sind Kommunikationswissenschaftler und haben seit ihrem Eintritt in die Kommunalpolitik viel Wert auf Bürgernähe gelegt. Man konnte Sie sprichwörtlich am Kneipentisch antreffen. Wie pflegen Sie diese Bürgernähe unter Pandemiebedingungen?

Der Kneipentisch ist (leider) zum digitalen Stammtisch per Videokonferenz geworden. Aber natürlich bin ich weiter über allerlei Kanäle erreichbar. Dennoch freue ich mich sehr darauf, wenn wieder mehr persönliche Kontakte mit den Menschen in Ilmenau möglich sind.

Interview: Torsten Laudien

Campus der Technischen Universität Ilmenau | Foto: TU Ilmenau/Hajo Dietz

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