Als Arbeitgeber heute schon an morgen denken

Wo Dinge produziert werden, werden auch Ressourcen verbraucht.

Thüringens Umwelt- und Energieministerin Anja Siegesmund | Fotos: NAThüringen

Lange Zeit galten Ökonomie und Ökologie als unvereinbare Gegensätze. Aber das Bild wandelt sich. Immer mehr produzierende Unternehmen entdecken die Nachhaltigkeit als Teil ihres Geschäftsmodells für sich. Im Interview mit dem WIRTSCHAFTSSPIEGEL spricht Thüringens Umwelt- und Energieministerin Anja Siegesmund (Grüne) über den Zusammenhang von Innovationen und Investitionen, über den Erfolg des Nachhaltigkeitsabkommens NAThüringen und über Berufsnachwuchs, der sich nachhaltig denkende Arbeitgeber wünscht.

Frau Ministerin, das produzierende Gewerbe in Thüringen muss sich immer mehr an Kriterien der Nachhaltigkeit orientieren. Das sollte Sie als Umwelt- und Energieministerin eigentlich freuen. Sind Ökonomie und Ökologie heutzutage noch Antagonisten?

Das waren sie nie – und sind sie heute weniger denn je. Es ist doch klar: Wenn wir unsere Lebensgrundlagen gefährden, legen wir die Axt an die Wurzeln unseres Wohlstandes. Was sich allerdings verändert hat, ist, dass es immer mehr Verbraucherinnen und Verbrauchern immer wichtiger wird und sie genau hinschauen, ob Unternehmen auf der Höhe der Zeit arbeiten, also energieeffizient, ressourcenschonend und nach haltig. Für diese Unternehmen haben wir viele gute Beispiele in Thüringen, wie ich bei vielen Besuchen immer wieder feststelle. Ihr Engagement für Umwelt- und Klimaschutz zahlt sich doppelt aus: Innovative Techniken sind Zukunftsinvestitionen, die sich langfristig rechnen. Und sie sind wirksam in der Außendarstellung.

Wie gut ist in diesem Zusammenhang betrachtet eigentlich Ihre Zusammenarbeit mit Ihrem Kollegen Wolfgang Tiefensee und seinem Ministerium zum Beispiel bei Förder- und Investitionsprogrammen?

Wir verzahnen uns da sehr gut. Ich kann den Wirtschaftsminister nur ermuntern: Es kommt in der Wirtschaftsförderung auf die richtige Weichenstellung für die nächste Förderperiode an. Es geht darum, alle Möglichkeiten des Green New Deal auszuschöpfen. Entscheidend ist ja, dass das Fördergeld dort ankommt, wo Innovation entsteht, Wertschöpfung in Stadt und Land. Aus unterschiedlichen Töpfen bieten wir Unterstützung für Investitionen hier und heute, aber vor allem für die Zukunft. Das ist doch gerade in diesen schwierigen Pandemiezeiten besonders wichtig. Wenn wir jetzt zu Recht viel Geld in die Hand nehmen, um Betriebe und Arbeitsplätze zu schützen, dann eben auch gleich für Investitionen, die neue Weichen stellen, neue Chancen eröffnen. Für das Umweltministerium sind das vor allem Green Invest, unser Programm für Energieeffizienz, aber natürlich auch EMobil Invest, für mehr klimafreundliche Fahrzeuge und die entsprechende Ladeinfrastruktur. Und ich habe mich auch sehr darüber gefreut, wie unser Programm für Lastenräder, Cargobike Invest, bei kleineren Unternehmen und Selbstständigen ankommt. Im Gespräch mit Unternehmern interessiert mich regelmäßig die Praxistauglichkeit unserer Programme.

Wenn Sie die Veränderungsprozesse hin zu mehr Nachhaltigkeit in der Thüringer Wirtschaft betrachten: Wie fällt Ihre Einschätzung aus, wo stehen wir?

Wir sind auf einem guten Weg. Der Wirtschaft – nicht nur in Thüringen – ist ja klar, dass unser aller Wohlstand und der kommender Generationen eng mit der Klimafrage und mehr Nachhaltigkeit zusammenhängt – auch wenn jetzt zusätzlich die Bewältigung der Coronakrise ansteht. Wir wollen zur Mitte des Jahrhunderts klimaneutral produzieren, leben und unterwegs sein. Wer jetzt seine Chance nutzt, zum Beispiel durch mehr Energieeffizienz, sowohl langfristig Kosten zu sparen als auch das Klima zu schonen, ist klar im Vorteil. Eben auch, was das Image des Unternehmens angeht. Ich freue mich sehr darüber, dass immer mehr Thüringer Unternehmerinnen und Unternehmer das auch verstanden haben.

Das Nachhaltigkeitsabkommen NAThüringen gilt mit aktuell 643 Mitgliedern unterdessen als das größte Unternehmensnetzwerk im Freistaat. Wie schätzen Sie dessen Arbeit ein?

Das NAT ist eine Erfolgsgeschichte, als gemeinsames Netzwerk von Kammern, Verbänden und Landesregierung. Wir arbeiten auf Augenhöhe zusammen. Wir suchen – und finden – gemeinsam Wege, Unternehmen für mehr Nachhaltigkeit zu gewinnen. Das schafft gegenseitiges Verständnis, Verlässlichkeit und Vertrauen. Als ich vor sechs Jahren Ministerin wurde, waren es noch 400 Unternehmen, jetzt schon fast 650. Nachhaltigkeit ist längst raus aus der Nische und neue Geschäftsgrundlage für Managerinnen und Manager, die etwas über den Tellerrand gucken und langfristige Investitionen planen, die ihr Unternehmen zukunftsfest machen. Ich finde zum Beispiel, dass sich auch das neue nachhaltigere Papier und damit der neue Look des WIRTSCHAFTSSPIEGEL sehr gelohnt haben. Und der WIRTSCHAFTSSPIEGEL ist ja jetzt Teil des NAT. Ich freue mich über jeden Neuzugang.

Die produzierende Wirtschaft klagt seit Jahren über Fachkräfte- und Nachwuchsmangel. Welche Rolle kann nachhaltiges Wirtschaften im Wettbewerb um die besten Köpfe und Hände spielen?

Das Image der Arbeitgeber spielt natürlich für junge Leute auf der Suche nach einem Arbeitsplatz eine große Rolle. Und immer wichtiger dabei wird der Aspekt von Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Ich habe mich vor kurzem mit einer Professorin an der FH Erfurt unterhalten, die mir sehr anschaulich davon erzählt hat: Immer mehr Studierende aus der Generation Fridays for Future wollen durch ihre Arbeit entweder direkt zum Klimaschutz beitragen – oder zumindest in Unternehmen arbeiten, die das Thema nicht kalt lässt. Ein Arbeitgeber, der heute schon an morgen denkt, überzeugt also auch Berufseinsteigerinnen und -einsteiger.

Am Ende geht es auch bei Klimaschutz und Nachhaltigkeit um das liebe Geld. Wie viel ist es Thüringen wert, dass sich seine Produktionsbetriebe zu diesen Zielen bekennen?

Allein das Umweltministerium hat seine Mittel in den Invest-Fördertöpfen erhöht. Green Invest wurde von knapp 38 Millionen Euro um weitere fünf Millionen aufgestockt, aber auch EMobil Invest mit 1,5 Millionen und Cargobike Invest mit mehr als 500.000 Euro. Dazu kommt noch Solar Invest mit rund drei Millionen Euro für private Unternehmen. Klimaschutz ist zudem eine Querschnittsaufgabe, das Wirtschaftsministerium haben Sie ja schon angesprochen – auch dort wird die Förderung richtungsweisender Innovationen ernst genommen. Und im Infrastrukturministerium für die Bereiche Bauen und Verkehr. Nehmen Sie zum Beispiel das Thema Wasserstoff – da liegt die Strategie der Landesregierung vor mit wichtigen Förderungen für den Wasserstoff-Brennstoffzellenzug im Schwarzatal oder die geplante Wasserstofftankstelle für LKW-Logistik am Güterverkehrszentrum in Erfurt.

Interview: Torsten Laudien

In eigener Sache: Auch der WIRTSCHAFTSSPIEGEL ist jetzt Teil des Nachhaltigkeitsabkommens NAThüringen. Prokurist Götz Lieberknecht präsentiert die Urkunde.

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