Wirtschafts- und Wissenschaftsminister Wolfgang Tiefensee im Interview

„Wir verkaufen gute Produkte und innovative Technologien“

Was macht Thüringen aus, wo stehen wir, wo wollen wir hin? Aus wirtschaftlicher Sicht ist natürlich der zuständige Minister Wolfgang Tiefensee erster Ansprechpartner für diese Fragen.

Im Interview mit dem WIRTSCHAFTSSPIEGEL stellt er dem Freistaat ein recht gutes Zeugnis aus. Der Minister spricht dabei über gelungene Beispiele für flexibles Thüringer Unternehmertum, beleuchtet den Stand der Digitalisierung im Freistaat, verhehlt aber nicht den Aufholbedarf, den Thüringen noch hat. Und schließlich äußert sich der Sozialdemokrat auch noch über die Chancen, die das aktuelle politische Patt im Landtag bietet.

„Wir verkaufen gute Produkte und innovative Technologien“ | Fotos: Juergen – stock.adobe.com

Herr Minister, in dieser Ausgabe des WIRTSCHAFTSSPIEGEL geht es um den Wirtschaftsstandort Thüringen. Lassen Sie uns also darüber reden, wie der Freistaat derzeit wirtschaftlich aufgestellt ist. Sie sind trotz Corona in den Unternehmen im Land unterwegs gewesen – im August zum Beispiel auf Ihrer Sommertour. Inwieweit hat die Thüringer Unternehmerschaft die Pandemie nicht nur als Problem, sondern auch als Chance begriffen?

Es gibt viele Beispiele für Unternehmen, die die Krise als Chance begriffen haben – etwa, indem sie auf coronataugliche Produkte umgestellt haben. Ich denke da zum Beispiel an die Maskenproduktion bei Breckle in Weida oder an die Firma Boxmeisters in Harth-Pöllnitz, die Seecontainer in Zugangsschleusen umbaut.

Andere haben die Krise genutzt, um sich mit ihren Produkten und Angeboten selbständig zu machen – Unternehmen wie Polytives, Tediro, Spaceoptix oder Sojka Solutions, die allesamt zu den diesjährigen ThEx-Award-Gewinnern zählen. Und wieder andere nutzen die momentane Phase, um notwendige Investitionen anzuschieben.

Wir registrieren derzeit eine deutlich gestiegene Investitionsbereitschaft, die sich nicht zuletzt in einem enormen Ansturm auf unsere Förderprogramme äußert. In der Gemeinschaftsaufgabe zur „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GRW) zum Beispiel stehen Anträgen mit einem Fördervolumen von mehr als 170 Millionen Euro aktuell noch 80 Millionen Euro an Fördermitteln gegenüber. Und das, obwohl wir über ein Sonderprogramm in diesem Jahr besonders viel Geld für diesen Bereich bereitgestellt haben.

Eines der Hauptthemen dieser Tage ist die Digitalisierung. Als Thüringens Digitalminister stehen Sie dabei besonders im Wind. Was ist gelungen und wo klemmt es noch?

Gemeinsam mit dem Bund stellen wir mehr als 450 Millionen Euro für den Breitbandausbau bereit – da geht es sichtbar voran. Bereits jetzt sind 92 Prozent der Haushalte in Thüringen mit mehr als 50, immer noch 85 Prozent der Haushalte mit 100 Megabit schnellem Internet versorgt, die verbleibenden „weißen Flecken“ werden zügig geschlossen. Für den nächsten großen Schritt – den ins Gigabit-Zeitalter – haben wir die Glasfaserstrategie aufgelegt und mit der Gründung der Thüringer Glasfasergesellschaft durch den Kommunalen Energiezweckverband auch die Voraussetzung dafür geschaffen, den geförderten Breitbandausbau künftig koordiniert aus einer Hand zu betreiben. Außerdem kommen wir mit unserer Digitalstrategie gut voran.

Alle ursprünglichen rund 50 Projekte, die wir uns Anfang 2018 vorgenommen haben, sind umgesetzt oder laufen, viele neue Vorhaben sind dazugekommen. Also: Es klemmt nicht, aber viele Dinge müssen umgesetzt und abgearbeitet werden. Das geht nicht über Nacht.

Lassen Sie mich ein Beispiel nennen, das man immer wieder hört: die Ausstattung der Schulen mit WLAN. Was nützen ganze Klassensätze von Tablets, wenn sie nicht sinnvoll eingesetzt werden können? Sicher ist das in erster Linie ein Thema für die Schulträger, aber kann das Land da nicht freundlich, aber bestimmt, durch finanzielle Motivation Einfluss nehmen?

Als Wirtschaftsminister nehme ich nicht auf die Schulen Einfluss, das überlasse ich meinem Kollegen Holter. Wenn es Ihnen aber um die Frage der Breitbandanschlüsse geht, dann sage ich Ihnen: Praktisch alle Schulen haben heute schon Internetzugang – und die Situation wird sich perspektivisch weiter verbessern, weil es gelungen ist, fast 900 der insgesamt 1000 Thüringer Schulen in die Förderprojekte des Landes und Bundes einzubeziehen. Privatwirtschaftliche Anschlussvorhaben von Schulen sind hier noch nicht einmal eingerechnet.

In diesem Zusammenhang möchte ich ein Zitat einer Bundesministerin aufgreifen. Brauchen wir „5G nicht an jeder Milchkanne“, oder hilft der Breitbandausbau auch dem ländlichen Raum?

Anders als manche Mitglieder der Bundesregierung trete ich dafür ein, auch die mittelständischen Betriebe und Haushalte im ländlichen Raum angemessen und zügig an das ultraschnelle 5G-Netz anzuschließen.

Damit sind ganz neue technische Anwendungen wie die vernetzte Produktion mit sehr vielen Maschinen, autonomes Fahren oder bildgebende Verfahren in Medizin und Industrie möglich. Das heißt: 5G eröffnet wirtschaftliche Chancen, die wir den ländlichen Regionen nicht von vornherein versagen sollten. Priorität hat jedoch zunächst die flächendeckende Abdeckung mit 4G. Dieser flächendeckende Roll-out ist in den Versorgungspflichten der Lizenzbetreiber erfreulicherweise auch festgeschrieben: 99 Prozent aller Haushalte in jedem Bundesland müssen bis Ende 2021 mit 4G versorgt werden.

Sie haben als Wissenschaftsminister auch den Bereich der industrienahen Forschung zu verantworten. Ihr Ministerium hat dazu in jüngster Zeit einiges auf den Weg gebracht. Welcher Gedanke steckt dahinter und wie schätzen Sie sowohl die Lage als auch die Perspektiven ein?

Die industrienahe Forschung ist die Basis für Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft der Unternehmen – und damit letztlich auch für Wohlstand, Einkommen und Arbeitsplätze. Wir haben in Thüringen ja keine Bodenschätze, wir verkaufen gute Produkte und innovative Technologien. Die Frage ist also immer, wie wir möglichst schnell von der Idee zum neuen Produkt oder Verfahren kommen. Deshalb fördern wir nicht nur die Entwicklung von Ideen, sondern auch den Transfer in die Wirtschaft – etwa durch unsere wirtschaftsnahen Forschungseinrichtungen, durch Verbundprojekte von Forschungseinrichtungen und Unternehmen, durch den Aufbau von Innovationszentren, durch die Unterstützung bei der Sicherung von Patentrechten. Insgesamt stellen wir allein dafür jedes Jahr mehr als 40 Millionen Euro aus EU- und Landesmitteln bereit – bis 2027, dem Ende der laufenden Förderperiode, fast 300 Millionen Euro.


Kommen wir auf die Qualitäten des Standortes Thüringen zu sprechen. Bei der Suche nach Fachkräften geht es immer um den Dreiklang aus „arbeiten, wohnen und leben“. Wie stellt sich für Sie die Situation dar und woran muss noch gearbeitet werden?

Thüringen bietet eine hohe Lebensqualität, aber auch gute Job- und Karrierechancen. Woran wir arbeiten müssen, ist zweierlei: Erstens, deutlich zu machen, dass tatsächlich auch kleinere und mittlere Unternehmen, die unsere Wirtschaftsstruktur nun einmal dominieren, sehr gute berufliche Perspektiven bieten. Viele von denen sind „hidden champions“, also markt- oder technologieführend in ihrem Bereich, aber leider oftmals weitgehend unbekannt. Deshalb stehen sie beim Personalrecruiting oft im Schatten großer Arbeitgeber wie Siemens, BMW oder Bosch.

Und zweitens: Das Lohn- und Gehaltsniveau. Da müssen wir weiter aufholen, auch wenn uns das in den letzten Jahren schon ganz gut gelungen ist. Es ist einfach schwierig, Leute hierherzuholen, wenn Thüringen bei den Verdienstmöglichkeiten eher am Ende der Bundesländerskala rangiert – auch wenn die Lebens haltungskosten in Erfurt niedriger sind als in München, so dass man sich unterm Strich bei uns am Ende vielleicht gar nicht so viel schlechter stellt.

Da schließe ich gern an. Jüngste statistische Erhebungen besagen, dass der Freistaat Thüringen bei den Durchschnittseinkommen immer noch hinter dem Bundesschnitt hinterherhinkt. Ihr Plan – respektive der Plan Ihrer Partei – war ein anderer. Wie bewerten Sie das?

Wie schon gesagt: Thüringen gehört zu den Standorten, die in den letzten zehn, 15 Jahren bei den Löhnen mit am stärksten aufgeholt haben. Aber das hat noch nicht gereicht, um uns im Gesamtranking deutlich nach vorn zu katapultieren. Es bleibt deshalb viel zu tun – wobei die Politik mitunter auch nur begrenzten Einfluss hat.

Mit unserem Vergabegesetz haben wir dafür gesorgt, dass staatliche Aufträge an Tariflöhne gekoppelt werden. Die Tarifbindung ist aber nach wie vor zu niedrig, erst vor wenigen Tagen hat eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung gezeigt, dass tariflose Betriebe im Schnitt rund elf Prozent niedrigere Löhne zahlen. Es bleibt also viel zu tun.

Vielleicht sollte in Zukunft eben doch häufiger vom Instrument der Allgemeinverbindlichkeitserklärung Gebrauch gemacht werden. Zudem müssen wir gerade neu gegründete Unternehmen für Tarifverträge gewinnen, denn hier ist die Bindung mit acht Prozent besonders niedrig.

Am Ende setze ich allerdings sehr stark auf die Einsicht der Unternehmen, bei denen sich nach meinem Eindruck aus Vor-Ort-Besuchen und Gesprächen zunehmend die Erkenntnis verbreitet, dass sich mit Dumpinglöhnen nun einmal keine Fachkräfte gewinnen lassen.


Eine letzte Frage an den Thüringer Parteipolitiker Wolfgang Tiefensee. Die Pläne für eine Neuwahl im September sind gescheitert. Woran es am Ende gelegen hat, wollen wir hier jetzt nicht erörtern. Und ob die Wahlen eine stabile politische Mehrheit gebracht hätten, ist Spekulation. Dennoch die Frage: Schadet die gegenwärtige Situation mit einer Minderheitsregierung dem Land?

Keine Frage, die Absage der Wahl war für viele Menschen in diesem Land eine herbe Enttäuschung. Als SPD haben wir uns immer dafür ausgesprochen, dass es eine Neuwahl geben müsse. Dass das nicht stattgefunden hat, hat auch die Glaubwürdigkeit von Politik erneut beschädigt.

Andererseits bietet die jetzige Konstellation auch die Chance, einmal unvoreingenommen über andere Politikmodelle nachzudenken, über neue Formen der Zusammenarbeit, die – trotz der notwendigen Abgrenzung – nicht nur ein Mindestmaß an Beteiligung für alle ermöglicht, sondern auch mehr Bürgerbeteiligung zulässt. Wir haben das bei mir im Ministerium unter anderem bei der Erarbeitung des neuen Thüringer Hochschulgesetzes und beim Vergabegesetz mit gutem Erfolg erprobt. (tl)

Interview: Torsten Laudien

Bei Breckle wurden in der Pandemie im großen Stil OP-Masken produziert. | Foto: TMWWDG

Die Firma Boxmeister baut Seecontainer in Zugangsschleusen um. | Foto: TMWWDG

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