Wir brauchen keine Regulierung, sondern gute Rahmenbedingungen

Arbeiten und wohnen in Thüringen, das sind zwei Seiten der selben Medaille. Der Verband der Thüringer Wohnungswirtschaft (vtw) vertritt rund 200 Mitgliedsunternehmen der Branche. Etwa 180 von ihnen sind kommunale und genossenschaftliche Unternehmen. Verbandschef Frank Emrich weiß, wie es um die Wohnungswirtschaft in Thüringen bestellt ist, kennt die größten Probleme und wendet sich im Interview mit dem WIRTSCHAFTSSPIEGEL gegen den Regulierungsdruck aus der Politik.

Herr Emrich, Thüringen wirbt sehr gern für sich mit einer hohen Lebensqualität. Dazu gehört zweifellos auch das Thema Wohnen. Ist das gerechtfertigt? Wie stellt sich für Ihren Verband die Situation in Stadt und Land dar?

Thüringen kann in der Tat auf ein hervorragendes Angebot von Wohnraum in allen Städten und Gemeinden verweisen. In der journalistischen Berichterstattung und im politischen Raum entsteht gelegentlich der Eindruck, die Probleme in Metropolen wie München oder Berlin träfen auch auf Thüringen zu. Unsere Zahlen zeigen, dass jeder Thüringer auch in Jena oder Erfurt zu jeder Zeit eine angemessene Wohnung findet. Vielleicht mittlerweile nicht sofort und an jedem Platz – aber auf jeden Fall angemessen und bezahlbar. Aus Sicht der Wohnungssuchenden stellt der ländliche Raum über weite Strecken noch das Angebotsparadies dar, das ganz Thüringen vor zehn Jahren war. Aus Perspektive der Wohnungswirtschaft wachsen die Leerstände im Zuge der anhaltenden Abwanderung in die Städte wieder bedrohlich an. 10,5 Prozent Leerstand sind bereits im ländlichen Raum zu verzeichnen – immerhin mehr als 20.000 Wohnungen in Thüringen. Hier benötigen wir unbedingt eine konzertierte Initiative von Landespolitik, Wirtschaft und den engagierten Bewohnern vor Ort. Dafür haben wir als vtw auch eigens ein Sechs-Punkte-Programm zur Stabilisierung des ländlichen Raums entwickelt.

vtw-Chef Frank Emrich im Interview | Foto: vtw

Hat die Pandemie etwas auf dem Wohnungsmarkt verändert?

Insbesondere bei den berufstätigen Mietern beziehungsweise Genossenschaftsmitgliedern ist flexibles Arbeiten oder Homeoffice wie überall angekommen. Das bedeutet vor allem für Wohnungsneubau, dass Arbeitsräume mitgedacht werden müssen und schnelle Internetleitungen ein Muss sind. Glücklicherweise hat es anfangs befürchtete Mietausfälle nicht gegeben.

Ein mittelfristiges, indirektes Problem mit Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt kann der beschleunigte Umbruch in den Innenstädten durch den Siegeszug des Onlinehandels, das damit verbundene Einzelhandelssterben und die sich abzeichnenden Probleme in Gastronomie und Hotellerie werden. Hier werden sich der Charakter der Innenstadt und damit auch der Lagequalität von Wohnungen verändern – diesen Prozess beobachten wir aufmerksam und haben dabei auch das Wohnumfeld im Fokus.

Ein politisch aufgeheiztes Thema – gerade in Wahlkampfzeiten – ist bezahlbares Wohnen. Dabei wird den Wohnungsunternehmen gern pauschal der Vorwurf gemacht, auf Kosten der Mieter hohe Gewinne machen zu wollen. Halten Sie diesen Vorwurf für gerechtfertigt?

Wir bemerken in den letzten Jahren zwei Aspekte. Einerseits wird das Thema Wohnen, weil es jeden sehr direkt und emotional betrifft, für politische Zwecke regelrecht instrumentalisiert. Andererseits schwindet in weiten Teilen von Politik und Öffentlichkeit die nötige Differenziertheit in der Analyse der Ausgangslage. Damit einher geht oft der falsche Umgang mit Zahlen, begleitet von einem generellen Unverständnis des Wirtschaftsgutes Wohnen.

Konkret heißt das: Alle Wohnungsunternehmen müssen Gewinne erzielen, weil sie nur so Investitionen in die Zukunft der Bestände – vor allem zum Klimaschutz – realisieren können. In Thüringen haben es lediglich unsere Mitgliedsfirmen in den großen Städten auf ein Mietniveau geschafft, bei dem sie nun auch ordentlich wirtschaften können. Im ländlichen Raum reichen die erzielbaren Mieten immer noch nicht aus, um zukunftsfähig zu arbeiten – ein Riesenproblem.

Für den weichen Begriff der Bezahlbarkeit gibt es harte Kennziffern. Als eine Markierung gilt zum Beispiel eine Mietbelastung von 30 Prozent (Bruttokaltmiete) des Haushalteinkommens eines Mieterhaushaltes. Das wird nirgendwo in Thüringen überschritten. Diskussionen um Mietpreisbremse und Kappungsgrenzen oder gar Mietendeckel sind in Thüringen deshalb völlig fehl am Platz und nicht durch Fakten gedeckt.

Fakt ist aber auch: Der größte Kostentreiber beim Wohnen in Thüringen ist der Staat. Wir haben in Deutschland über 20.000 Bauvorschriften und vor allem die Klimaertüchtigung und die dafür notwendigen Auflagen werden viel Geld kosten. Das werden am Ende die Mieter bezahlen müssen.

Woran liegt es dann, dass mancherorts so schwer bezahlbarer Wohnraum zu finden ist?

Diese Wahrnehmung können wir aus Perspektive unserer Mitgliedsunternehmen nicht nachvollziehen. Selbst in Jena, dem Thüringer Hotspot am Mietmarkt, bieten unsere Mitgliedsunternehmen genügend Wohnraum in jeder Preisklasse an. Das Indiz für einen funktionierenden Wohnungsmarkt ist immer die Fluktuation – also die Zahl der Umzüge in den Beständen. Die liegt zum Beispiel bei jenawohnen, Thüringens größtem Wohnungsanbieter, bei zirka elf Prozent im Jahr. Fehlen Wohnungen, ziehen Menschen nicht mehr um, weil sie bei Miethöhe und Angebot verschlechtern können beziehungsweise gar keine Wohnung finden wie in München oder Berlin. Das ist der sogenannte Locked-in-Effekt. So etwas kennen wir in Thüringen nicht.

Ist bei den heutigen Baupreisen sozialer Wohnungsbau überhaupt finanzierbar?

Ein klares Nein. Für sozialen Wohnungsbau – also belegungsgebundenen Wohnraum – benötigt es Fördergeld, ohne das geht es nicht. Mit heutigen Bau- und Grundstückskosten kommt man nahezu immer auf Miethöhen von neun bis elf Euro, um die Kosten zu decken. Da die Menschen in Thüringen durch die geringeren Einkommen auch nicht so hohe Mieten wie in den westlichen Bundesländern zahlen können, klappt auch keine Querfinanzierung mietpreisgebundenen Wohnraums durch frei finanzierte Mieten. Darum brauchen wir eine gezielte Förderung des bezahlbaren Wohnens durch den Staat, der diese Aufgabe propagiert. Damit einher muss die gemeinsame Bewältigung der Aufgabe des klimaneutralen Gebäudebestandes gehen. Auch hier gilt das Prinzip: Wer fordert, muss fördern.

Thüringen hat – wie die anderen ostdeutschen Länder auch – eine hohe Kompetenz im seriellen und modularen Bauen. Könnte das ein Weg in die richtige Richtung sein? Oder doch eher das Absenken der baurechtlichen Vorgaben?

Wir müssen beide Wege beschreiten. Mehr oder weniger die gesamte Volkswirtschaft hat sich in den letzten 50 Jahren massiv modernisiert. Nur Häuser werden fast immer noch so gebaut, wie im letzten Jahrhundert. Die Immobilienbranche steht durch die Digitalisierung von Verfahren wie BIM (Building In -formation Modeling) vor einen riesigen Umbruch, unter anderem durch dann mögliche Fertigteil- und Modulproduktion. Am Erfurter Kreuz entsteht ja gerade ein entsprechendes Werk. Aber ohne eine drastische Reduzierung von Bauvorschriften und Angleichung von Landesbauordnungen werden wir die Kosten nicht in den Griff bekommen. Eine Baukostensenkungskommission der Bundesregierung hat dazu schon lange Vorschläge erarbeitet. Wir brauchen jetzt wieder ein Bauministerium, das sie auch umsetzt.

Eine letzte Frage noch, Herr Emrich. Was halten Sie als Spitzenvertreter der Branche in Thüringen davon, dass die Politik beim Thema Wohnen und Mieten ein so hohes Regulierungsbedürfnis an den Tag legt?

Wie gesagt, ich verstehe den Impuls, aber er geht völlig an den Realitäten der Immobilienwirtschaft vorbei. Wir brauchen keine Regulierung, sondern stabile und gute Rahmenbedingungen für Bewirtschaftung und Neubau von Wohnungen. Dann regeln sich Angebot und Mieten relativ schnell, das kann man zum Beispiel gut in Hamburg verfolgen, wo die Zusammenarbeit von Politik und Branche gut funktioniert. Bisher hat nahezu jede Regulierung nur zu neuen Knappheiten und steigenden Kosten geführt. Der Mietendeckel in Berlin hat sich zum Desaster entwickelt, weil keiner mehr baut und die Wohnungsknappheit verstärkt wird. Alle möglichen Regulierungen – zum Beispiel bei der Energiewende – haben zu Folgekosten für Mieter und Immobilienwirtschaft geführt, die zwar nicht intendiert waren, aber die niemand auf dem Schirm hatte.

Man kann komplexe Systeme wie Volkswirtschaften generell schlecht regulieren, weil sie eben komplex sind. Die älteren Thüringer können davon ein Lied singen – das von der Planwirtschaft. Wo dies hinführt, haben wir gesehen. Jüngere Politikgenerationen kennen diese Erfahrung nicht mehr, deshalb sind sie bei diesem Thema leider etwas euphorischer.

Interview: Torsten Laudien

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