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Expertenkommission schlägt Zu­kunfts­aus­­schuss vor

Silodenken in der Bundes­re­gier­ung?

Die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) hat der Bundes­regierung Silodenken vorgeworfen. Das geht aus ihrem aktuellen Jahres­gutachten hervor. Allerdings konsta­tieren die Experten unter Leitung des Jenaer Wis­sen­schaftlers Prof. Uwe Cantner, dass die Bundesregierung vor großen Aufgaben stehe.

Der Jenaer Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Uwe Cantner leitet die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) | Foto: FSU

Die Regierung müsse zwar die neuen, mit dem Ukrainekrieg verbundenen sicherheitspoli­tischen Herausforderungen meistern. Die Be­wältigung weiterer gesellschaftlicher Heraus­forderungen, vor allem der großen Transfor­mationen – wie Dekarbonisierung und Digitali­sierung –, dürfe dabei allerdings nicht auf der Strecke bleiben. Doch hier sei die Bundes­regierung erstaunlich wenig vorangekommen. So wird in der jüngst veröffentlichten Zukunftsstrategie zwar ausgeführt, dass es für die Transformationen zahlreicher technolo­gischer und sozialer Innovationen bedarf. Um sie anzustoßen, so wird  angedeutet, müssten viel­fältige Maßnahmen aus verschiedenen Politik­feldern zusammenwirken. Jedoch zeigen sich die aktuellen innovations- und trans­formationsbezogenen Fachpolitiken und Stra­tegien der unterschiedlichen Ressorts kaum miteinander verzahnt und abgestimmt. „Statt Kooperation zwischen den Bundesministerien scheint nach wie vor das alte Silodenken zu dominieren“, resümiert Cantner.

Um hier endlich Fortschritte zu erzielen, bedürfe es dringend eines neuen, agilen Politikstils und einer dazu passenden Governance-Struktur. „Auch in der Innovationspolitik ist eine Zeiten­wende notwendig! Nur auf diese Weise wird sich in Wirtschaft und Gesellschaft eine Aufbruchs­stimmung erzeugen lassen, die für die Um­setzung der Transformationen enorm wichtig ist“, so der Vorsitzende der Expertenkommission. „Ein ‚weiter wie bisher‘ bei der Politikkoordination kann sich Deutschland weder in zeitlicher noch in finanzieller Hinsicht leisten.“

Zukunftsausschuss einrichten

Die Expertenkommission empfiehlt, als ein Zeichen der innovationspolitischen Zeitenwende einen ständigen Zukunftsausschuss einzu­­richten. Aufgabe des Ausschusses wäre es, die Ziele zu innovations- sowie transformations­bezogenen Themen abzustimmen sowie ein­schlägige Strategien – etwa die Zukunfts­strategie Forschung und Innovation, die Digitalstrategie und die Start-up-Strategie – zu koordinieren und festzulegen. „Diese wichtigen Regierungsaufgaben können weder im Rahmen von Kabinettssitzungen noch bei der Ressort­abstimmung einzelner Strategien adäquat geleistet werden“, stellt Uwe Cantner fest. Der Zukunftsausschuss sollte nach Ansicht der Expertenkommission im Bundeskanzleramt verankert und vom Chef des Bundes­kanzleramtes geleitet werden. Auf diese Weise käme den Transformationen die höchste politische Priorität zu. Dem Ausschuss sollten diejenigen Ministerinnen und Minister als feste Mitglieder angehören, deren Ressorts am intensivsten mit innovations- und transfor­mationsbezogenen Fragestellungen befasst sind. Andere Ministerinnen und Minister können anlassbezogen hinzugezogen werden. Um eine hohe Verbindlichkeit zu schaffen, sollte der Zukunftsausschuss dem Bundeskabinett sowie dem Deutschen Bundestag regelmäßig und ergebnisorientiert Rechenschaft ablegen. Die im Ausschuss festgelegten Strategien werden an die Ressorts beziehungsweise ressort­übergreifende Teams übergeben und dort über Roadmaps, Meilensteine und fortlaufende Evaluationsschleifen in die Umsetzung gebracht.

Synergien zwischen militärischer und ziviler Forschung

Die Expertenkommission geht in ihrem Jahres­gutachten auch auf die von Bundeskanzler Olaf Scholz angesichts des Krieges in der Ukraine ausgerufenen Zeitenwende ein. In einem eigenen Abschnitt stellt sie die hierzulande be­stehende strikte Trennung zwischen mili­tärischer und ziviler Forschung in Frage und plädiert dafür, Synergien zu nutzen. Der russische Angriff auf die Ukraine habe die militärische Sicherheit Deutschlands und damit auch die Militärforschung wieder in den Blick gerückt.

„Fakt ist, dass in anderen Ländern Forschungs­aktivitäten im Militärsektor wichtige Impulse für Innovationen im zivilen Sektor liefern und umgekehrt. Das heißt, durch die strikte Trennung der beiden Sektoren entgehen Deutschland fortlaufend Synergieeffekte und Innovation­simpulse“, kritisiert EFI-Vorsitzender Uwe Cantner. „Beispielsweise ist die Cybersicherheit sowohl für den zivilen als auch für den militärischen Sektor immens wichtig. Hier sollten die Anstrengungen in der Forschung gebündelt werden“, fordert der Wirtschaftswissenschaftler von der Friedrich-Schiller-Universität Jena. „Ähnliches gilt für die Raumfahrt und den New Space, denkt man nur an die zivile und militärische Forschung zu Kommunikation, Navigation und Erdbeobachtung”, ergänzt Prof. Dr. Till Requate von der Universität Kiel und Mitglied der Expertenkommission. (tl)

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