Grundstein für die datenbasierten Geschäftsmodelle der Zukunft

Für Unternehmen, gleich welcher Größe, steigt die Bedeutung von datenbasierten Geschäftsmodellen.

Mittelständler sollten ihre Daten für Produkte und Produktion nutzen und möglichst monetarisieren. Bisher war das Nutzen von Daten außerhalb des eigenen Unternehmens jedoch komplex und riskant, insbesondere weil Abhängigkeiten zu Cloudanbietern in den USA und China entstanden. Die Europäische Union hat daher im Oktober 2019 das Projekt GAIA-X zum Aufbau einer leistungs- und wettbewerbsfähigen, sicheren und vertrauenswürdigen Dateninfrastruktur für Europa ins Leben gerufen. In Thüringen ist das Erfurter Unternehmen NT.AG an GAIA-X beteiligt. Sebastian Gawron ist dort als Digitalisierungsbotschafter beschäftigt. Im Interview beleuchtet er GAIAX näher.

Herr Gawron, wer schon einmal von GAIA-X gehört hat, assoziiert damit die sogenannte EU-Cloud – also eine Alternative zu den Googles, Microsofts und Alibabas dieser Welt. So zumindest wurde es bisweilen beschrieben. Greift das zu kurz? Was ist GAIA-X wirklich?

GAIA-X fördert den Aufbau eines digitalen Ökosystems, in dem Daten in einem vertrauenswürdigen Umfeld zur Verfügung gestellt, gesammelt und ausgetauscht werden können, wobei die Dateneigentümer jederzeit die Hoheit über ihre Daten behalten.

Dabei tritt GAIA-X nicht selbst auf dem Markt auf, um dort mit den etablierten Unternehmen zu konkurrieren. GAIA-X ist kein Unternehmen, das wie ein eigenständiger Cloud-Anbieter fungiert. Es ist ein Regelwerk, das die Teilnehmer verbindet, um neue innovative Produkte und Dienstleistungen entstehen zu lassen. In diesem Zusammenhang sind aber nicht nur Regeln, sondern auch Softwarekomponenten für ein föderiertes System zu entwickeln.

Sebastian Gawron | Foto: NT.AG

Hin und wieder wird GAIA-X in den Medien totgesagt. Ist das der Berufspessimismus der Bedenkenfähnchen-Träger?

Zunächst steht hinter GAIA-X der politische Wille, unabhängig von den marktdominierenden Hyperscalern bzw. den großen Cloud-Anbietern zu sein. Dabei soll ein System etabliert werden, welches nach europäischen Regeln und Werten, wie etwa Offenheit, Transparenz und Vertrauen funktioniert. Es soll ein Ökosystem für Infrastruktur und Daten geschaffen werden, welches jedem Teilnehmer ermöglicht, regelbasiert mit anderen zusammenzuarbeiten. Es geht um einen ganz neuen Ansatz: Daten- und Dienstangebote transparent und branchenübergreifend in Föderationen gemeinsam bekannt und nutzbar zu machen und trotzdem die Besitzverhältnisse zu wahren.

Im ersten Schritt wurde zunächst am Regelwerk für dieses System gearbeitet. Die gemeinsamen Spielregeln, die Softwarearchitektur und die Richtlinien zur konsistenten Verwendung von Standards sowie Open-Source-Software mussten unter den Mitgliedern (aktuell 333) erarbeitet und abgestimmt werden. Dieser Prozess benötigte seine Zeit. Deshalb sah es oberflächlich betrachtet so aus, als ob bei der Weiterentwicklung von GAIA-X nichts passierte. Doch wir befinden uns zum jetzigen Zeitpunkt in der Implementierungsphase des GAIAX-Werkzeugkastens, der die Basis für jedes zu schaffende GAIA-X-Ökosystem legt. GAIA-X als europäisches Projekt mit deutschen Wurzeln wird in den kommenden Monaten seine Potenziale in den Anwendungsbereichen verdeutlichen und dabei innovative Geschäftsmodelle sowie soziale Innovationen ermöglichen. Um es anhand der aktuellen Energiedebatte zu verdeutlichen: Nur durch den konsequenten Einsatz digitaler Technologien wie GAIA-X kann beispielsweise die Energieversorgung in der EU und Deutschland resilient gestaltet werden. Deshalb darf nicht außer Acht gelassen werden, dass digitale Infrastrukturen unter Souveränitätsgesichtspunkten ebenso relevant sind wie physische Infrastrukturen.

Wie bewerten Sie es, dass amerikanische Anbieter inklusive der Datenkrake Palantir bei GAIA-X mitmachen dürfen?

Den Europäern ist bewusst, dass sie den großen Cloud-Anbietern in Technologiefragen stark hinterherlaufen. Warum sollte Europa auf dieses Wissen verzichten? Alle am GAIA-X Ökosystem beteiligten Partner sind denselben technischen Regeln unterworfen, die einen auf europäischen Standards basierenden Datenschutz gewährleisten. Wenn amerikanische Anbieter sich entscheiden, die Prinzipien von GAIA-X anzunehmen und einzuhalten, wäre das eine große Chance für alle Beteiligten.

Darüber hinaus ist festgelegt, dass jeder Anbieter von Diensten seinen Quellcode einsehbar als Open-Source-Code bereitstellen muss. Auf dieser Basis können andere Entwicklungen aufbauen und profitieren. Das beschleunigt in einer nie da gewesenen Weise den Wissenstransfer unter den Mitgliedern und schafft zudem einen wirklichen Innovationsgewinn.

Auch das Argument, dass „nicht-europäische“ Unternehmen GAIA-X kapern könnten, ist schon aufgrund der Statuten der GAIA-X-Foundation hinfällig. Die Geschäftsführung (Board of Directors) kann etwa nur durch Unternehmen besetzt werden, deren Hauptsitz in Europa liegt.

Wie beteiligen Sie sich an GAIA-X?

Mit unserer Beteiligung an drei KI-basierenden Forschungsprojekten liegt unser Schwerpunkt in der Entwicklung und Gestaltung der Systemarchitektur auf Basis der GAIA-X-Vorgaben. Das bedeutet, wir müssen unsere Konsortialpartner befähigen, das Regelwerk von GAIA-X zu verstehen und dieses dann gemeinsam mit unseren Beiträgen umsetzen.

Aus diesem Grund arbeiten wir aktiv in den GAIA-X-Gremien mit. Es gibt einen nationalen GAIA-X-Hub, der die deutschen Besonderheiten herausarbeitet, aber auch die Koordination der fachspezifischen GAIA-X Domänen organisiert. Weiterhin erfolgt in diesem Gremium die Abstimmung mit den anderen europäischen Partnern.

Darüber hinaus sind wir in den für unsere Forschungsprojekte fachlichen Domänen aktiv, die sich mit den branchenspezifischen Belangen beschäftigen. Unsere Mitarbeit erfolgt in den Hubs „Smart City/Smart Region“, „Building“ und „Agriculture“. Damit transferieren wir das Wissen nicht nur in unsere Projekte mit deren Partnern, sondern auch konkret in unsere Region Thüringen und Mitteldeutschland. Unser Ziel als Rechenzentrum Mitteldeutschland besteht darin, als zentraler GAIA-X-Knoten für die Region zu agieren und für weitere GAIA-X-konforme Anwendungen bereit zu stehen. Außerdem planen wir, für spezifische Ökosysteme die Federator-Rolle zu übernehmen und damit die Anwendung des Regelwerkes zu steuern und zu überwachen.

Welche Vorteile bringt Gaia-X für kleine und mittelständische Unternehmen in Thüringen?

Das ist die wichtigste Frage. Die Antwort: Nichts, wenn es keine Anwendungen, den sogenannten Use-Cases gibt. Andererseits, mit jeder GAIA-X konformen Anwendung kann sich jedes Unternehmen daran als User beteiligen. Entweder nutzt es Dienste jeglicher Art, die von beliebigen Anbietern bereitgestellt werden. Die Unternehmen können ihre unternehmenseigenen Daten mit den Dienste-Anbietern verknüpfen, ohne dass die Gefahr besteht, dass diese Daten missbraucht oder anderweitig genutzt werden. Oder Unternehmen können die in ihrem Geschäftsprozess entstehenden Daten für andere Nutzer anbieten und sich damit neue Geschäftsfelder erarbeiten. Deshalb ergeben sich, besonders für kleine und mittelständische Unternehmen, enorme Möglichkeiten und Chancen im Rahmen der GAIA-X-Community neue Betätigungsfelder zu erschließen. Wichtig ist, dass unsere regionalen Unternehmen ein Verständnis für die neuen Möglichkeiten entwickeln und damit Vertrauen zu GAIA-X-Anwendungen aufbauen. Wo die Europäische Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) vornehmlich Abwehrrechte definiert hat, schafft GAIA-X dagegen proaktiv den europäischen Standard für eine dezentrale, cloud-basierte Dateninfrastruktur. Damit wird der Austausch von Daten standardisiert und zugleich für alle Akteure rechtlich abgesichert.

Interview: Torsten Laudien

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