Forschungsprojekt: Umweltfreundliche Bauteile aus biobasierten Kunststoffschäumen

Zur Steigerung der Ressourceneffizienz und Treibhausgasneutralität künftiger Fahrzeuggenerationen wird weltweit an innovativen Leichtbauwerkstoffen geforscht, die immer häufiger auf nachwachsenden Rohstoffen basieren.

Typische Versuchsreihe zur schrittweisen Anpassung des Mischungsverhältnisses | Foto: TU Ilmenau

Dadurch motiviert wird am Fachgebiet Kunststofftechnik der Technischen Universität Ilmenau und in Kooperation mit einem Thüringer KMU in einem vom Bund geförderten Forschungsprojekt die Herstellung von komplex geformten Bauteilen bestehend aus biobasierten Polyurethanschäumen untersucht.

Dabei wird auf die robuste Reaction-Injection-Moulding-Technologie zurückgegriffen, die es erlaubt, reaktionsfähige Flüssigkeiten zu mischen und gezielt in ein temperiertes Formwerkzeug zu injizieren. Zur Herstellung von biobasiertem Polyurethanschaum wird ein aus nachwachsenden Rohstoffen gewonnenes Polyol mit einem Isocyanat gemischt und dadurch temperatur- und feuchteabhängige, chemische Reaktionen initiiert die zum einen aufgrund von Gasbildung zu einer Expansion und zum anderen zu einer Vernetzung bzw. Aushartung des Gemisches führen. Entscheidend für die resultierenden Werkstoffeigenschaften (bspw. Dichte, Harte, Zellstruktur) des Schaumformteils sind daher neben der zeitlichen Abstimmung des Expansions- und Aushärtungsvorgangs und des Mischungsverhältnisses der Ausgangsmaterialien auch die Kenntnis vorherrschender Prozessrandbedingungen in Werkzeug, Anlage und Umgebung.

Forschungsinhalte sind daher neben der Bestimmung des optimalen Mischungsverhältnisses der Ausgangsmaterialien und der analytischen Abschätzung erreichbarer Werkstoffeigenschaften auch die Optimierung von Misch- und Injektionsvorgang sowie die sensorische Überwachung von Expansion und Aushärtung im Schaumwerkzeug.

Zu Projektbeginn wurden relevante Kennwerte zur Lastenhefterstellung für die am häufigsten beim Projektpartner eingesetzten konventionellen Kunststoffschäume aus Datenblättern entnommen und durch weitere Messwerte erweitert. Anschließend erfolgte eine Recherche zu kommerziell verfügbaren biobasierten Polyurethanschaumsystemen sowie zu geeigneten Additiven und Formtrennmitteln. Basierend auf dem Lastenheft und dem Rechercheergebnis erfolgten Bewertung, Auswahl und Beschaffung favorisierter Schaumkomponenten. Die beschafften Schaumkomponenten wurden mit entsprechender Variation der Rezeptur zu Probekörpern mit einfacher Geometrie verarbeitet und das Expansionsverhalten sowie die Schaumstruktur charakterisiert.

Dabei wurde auch die Prozessreproduzierbarkeit respektive -stabilität bewertet. Mithilfe von dielektrischen Analysen (Netzsch DEA 288 Epsilon) wurden Aushärtungsvorgänge für die verwendeten Rezepturen untersucht. Die reaktionsbedingte Wärmeentwicklung (Exothermie) während des Aufschäumprozess wurde mittels konventioneller Temperatursensorik (USB Thermometer mit Thermodraht als „verlorener Einwegsensor“ im Schaumkern) als auch kontaktloser Wärmebildaufnahmen (Temperaturentwicklung Schaumoberfläche) bestimmt.

Zudem wurde das Schwindungsverhalten vor und nach Temperierung messtechnisch charakterisiert. Anschließend wurden Versuchsreihen zur Modifizierung der Schaumeigenschaften durch Additive durchgeführt. Dazu zählten beispielsweise Farbgestaltung und Brandschutz. Es wurde überprüft ob zwischen den Additiven untereinander oder mit den PU Komponenten nachteilige chemische Reaktionen auftreten und ob dabei umwelt- oder gesundheitsschädliche Schadstoffemissionen zu erwarten sind. Zur Ermittlung und Modellierung relevanter Werkstoffeigenschaften wurden thermomechanische, chemische und physikalische Kennwerte der hergestellten Probekörper messtechnisch ermittelt und erste analytische Modelle zur Abschätzung erreichbarer Eigenschaften (zum Beispiel Dichte und Druckfestigkeit) in Abhängigkeit vom gravimetrischen Anteil der einzelnen Schaumkomponenten erarbeitet. Anschließend wurden Prozessgrenzen sowie zielführende Prozessparameter für ausgewählte Portfoliobauteile des Projektpartners ermittelt. Dazu zählten das verarbeitbare Schaumvolumen, die erreichbare Dichte und die Berechnung der Masseanteile in Abhängigkeit vom jeweiligen Bauteilvolumen.

Die bislang erreichten Projektergebnisse verdeutlichen das hohe Potenzial biobasierter Polyurethanschaumsysteme. Mit zielorientierter Rezeptur und zeitgesteuertem Prozessparameterprofil konnten die mechanischen Kennwerte der als Referenz herangezogenen Hart- und Weichschaume mindestens erreicht sowie ein hoher Anteil an nachwachsenden Rohstoffen realisiert werden. Die Temperaturkurven und Wärmebildaufnahmen der Aufschäumtests zeigen die rasche Abkühlung der Randbereiche und die anhaltende Wärmekonzentration im Kernbereich der Schaumprobekörper – diese Erkenntnisse werden bei der anstehenden Auslegung der Werkzeugtemperierung genutzt um eine homogene Temperaturverteilung, als wichtige Reaktionsrandbedingung, sicherzustellen. Mittels TGA- und TGA-IR-Messungen konnten Zersetzungstemperatur und Anteil an nicht reagierten Gefahrstoffrückständen in den hergestellten Schaumprobekörpern anschaulich bestimmt werden und daraus Rückschlüsse auf Rezepturanpassungen gezogen werden. Mittels DEA-Messungen konnte der Aushärteprozess überwacht und optimiert werden und eine Ermittlung des frühestmöglichen Entformungszeitpunktes in Abhängigkeit vom Reaktionsfortschritt stattfinden.

Die nächsten Schritte sind die kriterienbasierte Auswahl eines Demonstratorbauteils und die Ableitung der entsprechenden Schaumgeometrie sowie der Schaumeigenschaften (Dichte, Farbe, et cetera). Eine zielführende Prozessvariante wird festgelegt und ein entsprechendes Aufschäumwerkzeug konstruiert. Die Fertigungstests zur Herstellung des Demonstrators werden beim Projektpartner begleitet und relevante Prozessdaten messtechnisch aufgezeichnet sowie für die anschließende Ergebnisinterpretation und Prozessoptimierung aufgearbeitet. Anschließend werden die hergestellten Demonstratoren messtechnisch untersucht und die Messergebnisse sowie aufgezeichnete Prozessdaten korreliert und interpretiert. Abschließend erfolgt eine Prozessoptimierung zur Realisierung bestmöglicher Eigenschaftskombination. Es werden Richtlinien für die künftige Gestaltung von Bauteilen aus dem neuen Schaumsystem entwickelt und Empfehlungen zur Überführung in den Serienprozess abgeleitet.

Nach erfolgreicher Projektumsetzung wird das Thüringer KMU in der Lage sein biobasierte Kunststoffschaume anwendungs- und kundenorientiert in komplexer Geometrie selbst herzustellen und im Vergleich zum aktuellen Herstellungsprozess (mechanische Bearbeitung von konventionellen und erdölbasierten Kunststoffschaumplatten) einen erheblichen Anteil an Verschnitt und Nacharbeit einzusparen. Das Fachgebiet erweitert seine Kompetenzen zur Vorhersage des Werkstoffverhaltens geschäumter Kunststoffe (analytische Modellierung Werkstoffkennwerte und numerische Simulation des Aufschäumvorgangs) und der sensorbasierten Regelung des Reaction Injection Moulding-Prozesses.

Das Vorhaben wird durch Mittel des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) im Rahmen des Zentralen Innovationsprogramms Mittelstand (ZIM) gefördert. Die Projektlaufzeit beträgt 24 Monate mit Beginn 01.05.2020. Die Mittelbewirtschaftung erfolgt am Thüringer Innovationszentrum Mobilität (ThIMo).

Autoren:
M. Sc. Robert Hartmann, Fachgebiet Kunststofftechnik der TU Ilmenau
Univ.-Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Wirt.Ing. Florian Puch, Fachgebiet Kunststofftechnik der TU Ilmenau

Lichtbildaufnahme eines offenporigen Polyurethanschaumes zur Analyse der Zellstruktur | Grafik: TU Ilmenau

Wärmebildaufnahmen des Aufschäumprozesses zur Untersuchung des örtlichen und zeitlichen Temperaturverlaufs | Grafik: TU Ilmenau

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